Der silberne Traum - Die Chroniken der Nebelkriege ; 4
Gegend verirrt, wird vom Sumpf ins Verderben gezogen.«
»Sind das Elementargeister?«, fragte Fi.
»Keine Ahnung.« Rob sah sich verstohlen um. »Einige hier an Bord halten sie für die missgünstigen Seelen jener, die selbst einst im Moor umgekommen sind«, raunte er.
»Und, stimmt das?«, wollte Nikk wissen.
Der Seemann zuckte die Schultern. »Wer weiß? Solltet ihr mal in Hammaburg sein, könnt ihr euch die Winselgestalten gern aus der Nähe ansehen. Im Umland der Hafenstadt leben Irrlichtjäger, die die Flackermänner einfangen und als Straßenbeleuchtung verkaufen. Einmal in die Laternen eingesperrt, sind sie ganz harmlos – heißt es.«
Eigenartig. Fi fühlte sich irgendwie von den Flackergestalten angezogen, ganz so, als kündeten sie von Ereignissen, die weit hinter dem Horizont auf sie warteten.
Irritiert schüttelte sie den Kopf.
Rob verschwand wieder und Nikk griff abermals nach Fis Hand. »Denkst du über mein Angebot nach?«, fragte er hoffnungsvoll.
Fi zog die Hand weg. »Wir kennen uns doch kaum.«
»Mir bleiben nur noch fünf Tage«, sagte Nikk ruhig. »Danach werde ich wieder für sieben Jahre an die See gebunden sein.«
»Ich weiß.«
»Hauptsache, du weißt jetzt um meine Gefühle.« Nikk sah sie mit seinem unergründlichen Meerblick an und Fi fühlte sich hin- und hergerissen. Er lächelte. »Ich folge lediglich dem Rat, den uns die Feenkönigin gegeben hat.«
»Ich … ich muss schlafen.« Fi wandte sich hastig von ihm ab. Sie eilte zur Frachtluke und kletterte in den Bauch des Schiffes, um sich dort eine freie Hängematte zu suchen. Sie wusste, dass ihr Abgang wie eine Flucht wirkte. Oder flüchtete sie bloß vor sich selbst? Sie lag noch lange wach und dachte über die zurückliegenden Geschehnisse nach. Und immer wieder wanderten ihre Gedanken zu Nikk, der jetzt allein oben Wache hielt. Er verwirrte sie, denn sie wusste genau, was die Feenkönigin ihnen geraten hatte: auf ihr Herz zu hören.
Doch es war zum Verzweifeln.
Sie wusste nicht, was es ihr riet.
Rüstringen
F i erwachte durch laute Kommandorufe und das Trampeln nackter Füße über ihr an Deck. Durch die Frachtluke fiel schräg das Tageslicht. Sie schreckte hoch und versuchte sich an ihre Träume zu erinnern. Doch zu ihrem Entsetzen war da nichts. Nicht ein einziges Bild. Aber das durfte nicht sein. Das konnte nicht sein! Jeder Elf träumte. Träume waren für Elfen lebenswichtig. Fi wurde bang zumute. Auf dem Nordmeer hatte sie doch auch geträumt. Gut, da war sie besinnungslos gewesen, dennoch: Warum träumte sie jetzt nicht? Vielleicht stand es weitaus schlimmer um sie, als sie geahnt hatte. Fi rieb sich verzweifelt die Schläfen und lauschte abermals in sich hinein. Nichts. Nicht die leiseste Erinnerung.
Plötzlich kam ihr ein Verdacht. Nikk hatte sie geküsst, während sie bewusstlos gewesen war. Diesem Nökk-Kuss wohnte ohne Zweifel ein starker Zauber inne. Reichte seine Magie aus, um den seltsamen Zustand, der sie gefangen hielt, wenigstens für einen Moment zu durchbrechen? Sollte sie Nikk vielleicht einfach bitten, sie noch einmal zu küssen? Doch wie konnte sie das wagen, wo sie ihm doch erst am Vorabend klargemacht hatte, dass sie nicht wusste, wie es um ihre Gefühle zu ihm stand. Oder hatte sie bloß Angst davor, dass er ihr den Kopf dann endgültig verdrehen würde? Schließlich durfte sie die Hoffnungen ihres Volkes nicht enttäuschen. Magister Eulertin ging davon aus, dass ihre Reise sie nicht ohne Grund über das Nordmeer geführt hatte. Und auch die Feenkönigin hatte angedeutet, dass sie sich auf einer Suche befand. Sie musste nur herausfinden, was das Ziel dieser Suche war.
Fi rutschte seufzend aus der Hängematte, griff nach Köcher und Bogen und verließ den Frachtraum.
An Deck erwartete sie eine warme Sommerbrise. Koggs kommandierte die Mannschaft vom Steuerrad aus. Die Männer hingen oben in den Wanten und holten das Hauptsegel ein. Aus der Ferne schlugen ihnen Hundegebell und die fröhlichen Klänge einer Laute entgegen. Fi lehnte sich angenehm überrascht über die Reling und sah im Licht der Vormittagssonne, dass sie Rüstringen fast erreicht hatten. Die Menschen hatten die kleine Stadt auf einem Geestrücken erbaut, der direkt an einen schmalen Flusslauf grenzte. Besonders prachtvoll war der Ort nicht, denn Rüstringen bestand vorwiegend aus gut verputzten Lehmhütten und einfachen Holzhäusern, die mit Stroh gedeckt waren. Auf gleich drei Dächern thronten große Storchennester,
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