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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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mitgebracht, den er Michelangelo unauffällig zusteckte.
    »Von seinem Vater«, flüsterte Piero, der es ebenfalls bemerkt hatte.
    Michelangelo zog sich in seine Kammer zurück. Als er die Stufen wieder herabstieg, wirkte er wie von einem Schicksalsschlag getroffen.
    Granacci begegnete ihm mit einem Blick aus Neugier und Mitgefühl.
    Michelangelo winkte ab.
    Granacci zog eine Augenbraue in die Höhe.
    Michelangelo ließ die Arme sinken: »Wenn meine Brüder wirklich so fleißig arbeiten, wie er schreibt …« Seine Nase stieß ihr gewohntes Zischen aus. »Weshalb braucht er dann immer noch mehr von meinem Geld?«
    Ein betretenes Schweigen setzte ein, das schließlich von Granacci beendet wurde, der seinem Freund einen Arm um die schmalen Schultern legte: »Korsischer Wein«, sagte er. In Granaccis Augen gab es kaum ein Leiden, das sich durch korsischen Wein nicht kurieren oder zumindest lindern ließ.
    »Bei dir mag Wein helfen«, antwortete Michelangelo.
    »Korsischer Wein.«
    »Korsischer Wein.« Er rang sich ein Lächeln ab. »Bei mir hilft Arbeit. Lasst uns weitermachen.«
    Als Aurelio zu fragen wagte, weshalb Michelangelo die Farben nicht bei dem glatzköpfigen Papierhändler kaufen wolle, entgegnete der Bildhauer: »Niemals würde ich bei einem römischen Halsabschneider meine Farben kaufen. Das lasse ich ihn nur glauben, damit er mir einen guten Preis für das Papier und die Stifte macht. Wer wirklich gute Farben will, für den gibt es nur einen Ort, an dem er sie bekommt.«
    »Das Kloster San Giusto alle Mura in Florenz«, führte Agnolo den Satz zu Ende, der gerade mit äußerster Sorgfalt die Kappe von einem Papierköcher entfernte. Auf alles, was Agnolo tat, und sei es, ein Blatt zu falten, verwendete er äußerste Sorgfalt. Piero hatte Aurelio gesagt, dass, wenn Agnolo etwas fertigstellte, sich kein Makel daran fand. Das Problem mit ihm war: »Er wird nie mit etwas fertig.«
    Piero, der neben ihm stand, leckte die Spitze seines kleinen Fingers an, stippte ihn in die Röhre und betrachtete im Licht das blaue Pulver, das daran klebte. Nach einer Weile begann er, es mit etwas Spucke auf der Handfläche zu verreiben. Schließlich hielt er die Hand in die Höhe. Der blaue Kreis leuchtete wie der Augusthimmel in der Nachmittagssonne. »Ein Azurit wie dieses gibt es auf der Welt kein zweites Mal«, frohlockte er.
    * * *
    Aurelio gingen die Briefe, die sein Meister von seinem Vater erhielt, nicht aus dem Kopf. »Aber hat Michelangelo nicht furchtbar viel Geld?«, fragte er, als Piero und er auf dem Gerüst standen. Maria Himmelfahrt lag bereits eine Woche zurück. Sie waren rechtzeitig zu den Feierlichkeiten fertig geworden. Jetzt ging es darum, zu prüfen, ob sich im trocknenden Arriccio Risse zeigten.
    »Am Ende ist es nicht das Geld, das ihn schmerzt.«
    »Was ist es dann?«
    »Lodovico hat sich nie für ihn interessiert. Und für seine … nennen wir es Bestimmung. Im Gegenteil: Er hat alles versucht, sie ihm auszutreiben. Schläge eingeschlossen.« Pieros Augen suchten die Decke ab. »Alles, was ihn an Michelangelo je interessiert hat, war, was er ihm einbringt.«
    Aurelio, der vorsichtig eine Spandrille abklopfte, hielt inne.
    »Ist was?«, fragte Piero.
    Das Bild Tommasos nahm Gestalt an, wie er vor Aurelio auf dem Sterbebett lag und ihn bat, nach der Öffnung in der Matratzennaht zu suchen und das kleine Säckchen aus der Füllung zu ziehen. Zwölf glänzende Goldmünzen, auf den Vorderseiten eine Lilienblüte, auf den Rückseiten ein Mann mit Heiligenschein, Johannes der Täufer, der Stadtheilige von Florenz. Echte Fiorini d’oro. Tommaso musste lange dafür gespart haben. »Es ist Zeit, zu gehen. Für uns beide.« Seine letzten Worte.
    »Ist was?«, wiederholte Piero.
    »Bei mir war es umgekehrt«, antwortete Aurelio schließlich. »Mein Vater hat sich immer nur für mich interesiert, nie für das, was ich ihm einbringen könnte.«
    Jetzt hielt auch Piero einen Moment inne. »Nun, ich schätze, du kannst dich glücklich schätzen.«
    Aurelio fuhr fort, die Spandrille abzuklopfen. Seine Brust schnürte sich zusammen. »Ja. Ich schätze, das kann ich.«
    Sie hatten alle kritischen Stellen untersucht, besonders die schwer zu spachtelnden Pendentifs und Spandrillen.
    »Was gefunden?«, fragte Piero.
    »Nichts.«
    »Und wem haben wir das zu danken?«
    Aurelio zog die Brauen in die Höhe. Die Erinnerung an seinen Vater überdeckte zu viel, als dass er Piero in seinen Überlegungen hätte folgen

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