Der Skandal (German Edition)
Zeit, die sie miteinander verbracht haben. Sie will nicht zurückdenken, nicht an verpasste Chancen und nicht an Verletzungen. Es ist vorbei. »Und kurz danach hast du Sandra Rustand kennengelernt.«
»Ich wollte dich nicht verlassen. Aber ich war hungrig auf das Leben, ich wollte etwas bewegen in der Welt, ich wollte gebraucht werden, Geld haben – und ich war … zu leichtsinnig.« Er senkt den Kopf, und seine Stimme ist leise geworden. »Es tut mir leid. Wirklich, es tut mir leid.«
»Hast du das auch zu Sandra gesagt?«, fragt sie herausfordernd.
»Chris, bitte …«
»Hör auf, mich um Verständnis zu bitten, von mir kriegst du es nicht! Geh jetzt endlich.« Sie muss ihn loswerden, sie kann das sentimentale Getue nicht mehr ertragen.
Er nickt. An der Tür sagt er mit einem schiefen Lächeln: »Vielleicht kann ich Jay ja mal besuchen kommen – wenn das alles hier vorbei ist …«
»Willst du dich bei ihm entschuldigen, weil du mich verlassen hast – oder weil du dafür gesorgt hast, dass er beinahe gestorben wäre?«
»Du hast recht … Ich hab alles kaputtgemacht …« Dann zieht er die Tür auf und stapft hinaus in den Schnee.
Schneeflocken wehen herein, Christina schließt nachdenklich die Tür. Sie hätte ihm das gar nicht sagen sollen, denkt sie, die ganzen Jahre lang hat sie es verschwiegen, warum also jetzt? Sie überlegt, ob es verletzter Stolz war, dass sie es ihm nie gesagt hat. Und ob sie daran schuld ist, dass alles so falsch läuft. Nachdenklich geht sie zurück in die Küche. Petes Kaffeebecher steht fast unberührt da, sie nimmt ihn, gießt den Kaffee aus, öffnet die Spülmaschine … Im selben Augenblick hört sie, wie Glas klirrt, es folgt ein Knall, sie wirft sich auf den Boden. Etwas Warmes läuft ihr über die Wange. Sie tastet mit den Fingern darüber. Blut. In der hell erleuchteten Küche gibt sie ein perfektes Ziel ab. Tauchen Sie ab , hat Muller zu ihr gesagt.
Vorsichtig robbt sie zum Schalter – und macht das Licht aus.
Muller kocht vor Wut, während sie nach Hause fährt.
Wie kann Ochs es wagen, ihr so einen Vorschlag zu machen – und noch schlimmer: Wie konnte sie sich das einfach so anhören, ohne ihn gleich der versuchten Bestechung zu beschuldigen? Wieso hat sie ihm das letzte Wort gelassen? Dabei hat sie ihn in der Sache Springsteen weichklopfen wollen. Die Freundin von diesem Journalisten hat ihr genauestens geschildert, was Ochs angeblich mit Springsteen nach der Pressekonferenz gemacht hat. Ochs hätte ziemlich brutal zugeschlagen. Springsteen könnte noch froh sein, dass er keine Zähne verloren hat. Warum er Ochs nicht wegen Körperverletzung angezeigt hätte, wollte Muller wissen. Springsteens bekiffte Freundin hat gekichert und gemeint, er hätte wohl einen noch besseren Deal gemacht. Geld. Da ist Muller sich sicher. Und genauso sicher ist sie sich, dass Ochs irgendwas mit der Sache zu tun hat. Chief of Police – diesen Job hat er in die Waagschale geworfen.
Ihre Karriere, die von Adam und die Zukunft ihres Sohnes in der einen Schale, ein unaufgeklärter Mord in der anderen … Das ist geradezu obszön.
Seit fast achtzehn Stunden ist sie jetzt auf den Beinen, die Tage vorher waren auch nicht viel kürzer, sie braucht unbedingt ein paar Stunden Schlaf – auch wenn das Gespräch mit Ochs sie aufgewühlt hat.
Adams Porsche steht in der Garage. Eigentlich ist sie gerne allein, wenn sie nach Hause kommt, sie will sich einfach gehenlassen und nicht mehr reden und denken müssen, aber heute ist sie erleichtert, dass sie nicht allein ist.
»Liebling!« Adam sieht zuerst sie an, dann blickt er auf seine Armbanduhr. »Haben sie dich gefeuert, oder warum bist du so früh?« Das sollte witzig sein, aber sie ist nicht in Stimmung. Eine Umarmung hätte sie sich gewünscht, aber zu oft schon hat sie ihn weggestoßen, das weiß sie. Also erwidert sie Adams Bemerkung mit einem schnellen Begrüßungskuss und mit einem Seufzen. Sie muss mit ihm reden, es ist zu viel passiert, aber sie hat noch keine Ahnung, wie und wo sie anfangen soll. Mit dem Abend bei Muller Engstroem Architects? Oder mit Adams Auftrag für Polycorp Minerals? Oder viel, viel früher, als sie angefangen haben, die Empfänge und Clubs zu besuchen, in denen sie Leute wie Carl Ochs und Charles Frenette vorgestellt worden sind?
Während Adam ihren Mantel aufhängt, geht sie in die Küche, um sich ein Glas Wein einzuschenken. Adam hat eine Flasche Rotwein geöffnet, sein Glas auf der Theke ist schon halb
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