Der Skandal (German Edition)
vermummte Gestalten drücken sich in dunklen Eingängen herum. Früher, als sie noch Streife fuhr, hieß das jedes Mal: Aussteigen – die Hand am Pistolengriff. Jeder war ein potenzieller Mörder. Aber jetzt ist es ihr egal, ob sie Stoff vertickern oder sich gegenseitig umbringen, sie fährt weiter Richtung East Milwaukee. Pete hat einen Vorsprung von mehr als fünfzehn Minuten. Verdammt, Pete! Warum musstest du wieder in mein Leben eindringen?
Carl Ochs hängt seinen Mantel auf, hört, wie das Taxi, das ihn aus dem Büro nach Hause gebracht hat, wegfährt, und überlegt, wie er anfangen soll, Heather zu bitten, ihm ein Alibi zu geben. Schon die ganze Fahrt über hat er darüber nachgedacht – und über Tony, dass er nie wieder von Tony chauffiert werden wird, dass ihm jetzt nur noch sein Bruder geblieben ist, die einzige Person, der er völlig vertrauen kann. Er zieht seine Schuhe aus und schlüpft in Mokassins. Wie lange will er eigentlich noch an der Garderobe stehen bleiben und das Gespräch mit Heather hinauszögern? In diesem Augenblick klingelt sein Handy. Frenette.
»Es gibt ein Problem«, sagt er nervös. »Kondracki ist hier in meinem Büro. Er behauptet, ich hätte diesen Therapeuten ermorden lassen!«
»Und, was haben Sie ihm gesagt?«
»Dass das völliger Unsinn ist! Hören Sie, Carl«, sagt Frenette eindringlich, »schicken Sie sofort jemanden her!«
Tony ist tot, müsste er jetzt sagen, aber nicht am Telefon.
»Diesmal ist es Ihr Job, Charly!«, sagt Ochs knapp.
»Sie wollen mich hängen lassen? Wir sitzen in einem Boot! Sie können doch nicht …«
»Was ist mit Ihrem Bodyguard?« Ohne sich zu verabschieden, beendet Ochs das Gespräch.
Trotzdem, so ganz traut er Frenette nicht. Der ist zu weich, geht nur kalkulierte Risiken ein, überlässt lieber den anderen die Verantwortung für unangenehme Dinge. Einen Augenblick lang überlegt er, ob er die Sache nicht doch in die Hand nehmen soll. Nein, entscheidet er, Frenette muss das jetzt selbst regeln. Und außerdem muss er sich um Heather und sein Alibi kümmern. Das Telefonat hat ihm einen Adrenalinschub verpasst, er strafft den Rücken und geht ins Wohnzimmer.
Sie sitzt auf der Couch mit einem Glas Wein in der Hand und sieht fern. Irgendetwas Historisches, er erkennt Mel Gibson in einer Rüstung, umgeben von einem Heer Furcht erregend aussehender Krieger.
»Heather? Ich muss mit dir reden.«
Am Eingang und in den oberen Stockwerken brennt Licht. Christina parkt den Wagen, lässt den Blick über den Parkplatz schweifen und entdeckt einen Chevrolet Van. Petes Wagen. Er ist bei Frenette. Wie lange schon?
Sie klingelt an der Glastür. Es dauert ein paar ewig lange Sekunden, dann kommt ein Wachmann hinter der Empfangstheke hervor, ein massiger Typ, der sie an Rob erinnert. Sie presst ihren Ausweis an die Scheibe. Er nickt, nimmt das Telefon – und sie zieht ihre Waffe. Was will sie tun? Will sie ihm ein Loch in die Schläfe ballern? Offenbar fürchtet der Wachmann genau das, denn er öffnet und fragt hastig:
»Wohin wollen Sie, Detective? Es ist niemand mehr da!«
»Im obersten Stock brennt noch Licht!« Sie läuft zu den Aufzügen.
»Warten Sie, ich begleite Sie!«
»Ich finde allein hoch!«, erwidert sie. Schon öffnen sich die Türen. Da fällt ihr ein, wie einfach es ist, den Aufzug anzuhalten, und so stößt sie die Tür zum Treppenhaus auf und rennt die Stufen hoch.
Heather wendet sich ihm noch nicht einmal zu, sie sieht einfach weiter in den Fernseher, wo gerade zwei feindliche Heere aufeinander zureiten. »Du müsstest bestätigen, dass ich gestern Nacht hier war«, sagt Ochs und gibt sich Mühe, nicht ungeduldig zu klingen.
Sie antwortet nicht. Die Pferde galoppieren, die Männer heben ihre Schwerter und Lanzen, und Mel Gibson stimmt ein Kriegsgeheul an. »Ich bitte dich nicht oft um etwas, aber das hier wäre sehr wichtig«, redet Ochs weiter und wartet unendlich lange, so kommt es ihm vor, bis sie endlich sagt: »Wichtig für dich, meinst du wohl.«
»Auch für dich, Heather. Für deinen guten Ruf.«
Ihr kurzes Auflachen vermischt sich mit dem Schlachtenlärm aus dem Fernseher.
»Meinen guten Ruf?« Sie sieht kurz zu ihm herüber. »Du bist ja so selbstlos! Deine Affäre mit Kirsten Tobey kannst du nicht ewig geheim halten. Um welchen guten Ruf geht es also, Carl?« Sie hat geweint, ihre Augen sind gerötet. Oder vielleicht kommt das auch vom Alkohol.
»Nun gut, es geht um einen Gefallen, den du mir tun müsstest«, lenkt
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