Der Skandal (German Edition)
sagt er offenkundig unbeeindruckt. »Wir haben ja noch den Jungen. Er hat den Mörder vielleicht gesehen.«
»Der Junge liegt im Koma, Brewer, und wer weiß, wann er daraus wieder aufwacht. Also, lassen Sie sich was einfallen. Ich muss vor der Presse eine Erklärung abgeben.«
Er nickt und steht auf.
»Wenn es wirklich ein Racheakt ist«, sagt sie, als er schon die Tür öffnet, »müssen wir schleunigst ein Exempel statuieren.«
Er schaut sie fragend an.
»Razzien«, führt sie aus. »In den entsprechenden Etablissements. Und ein paar Festnahmen.«
»Okay«, sagt er.
Er ist nicht sonderlich überzeugt. Er ist eher der intellektuelle Typ, der, der die Fälle lieber im Kopf löst als mit Gewalt. Was Muller nicht kritisiert, ganz und gar nicht, sie hat weiß Gott schon genügend Rambos in ihrer Abteilung.
»Schön. Ach, und wenn Sie Andersson wieder hier sehen sollten …« Sie lächelt unverbindlich. »Schicken Sie sie zu mir rein, ja?«
Sie erwartet keine Antwort, sondern ordnet ihre Papiere und sieht erst wieder auf, als die Tür zufällt.
Big Dee wohnt in einem noblen Viertel. Mit Seeblick. Und mit ausschließlich weißen Nachbarn. Das gefällt ihm: die Provokation.
Die Limousine rollt über den Kies, den sie normalerweise unter den Reifen knirschen hören würde, wäre die dröhnende Rapmusik nicht so laut, dass die Scheiben klirren. Der Wagen hält, und plötzlich ist alles still. Nur in Christinas Ohren hallt der Rap noch nach.
Goldzahn macht ihr die Tür auf und grinst breit.
»Hey, Chrissy!« Big Dee kommt auf sie zu. Er trägt einen champagnerfarbenen Trainingsanzug. Als er seine riesigen Arme ausbreitet, um sie zu umarmen, fürchtet sie, er könnte sie zerquetschen. Doch seine Berührung ist überraschend sanft und flüchtig. Was nicht heißt, dass sie sein Parfüm nicht noch tagelang an sich riechen wird.
Die schwere Goldkette trägt er über der Trainingsjacke.
»Schlimme Sache«, sagt er ernst und gibt seinen Jungs ein Zeichen, worauf der Fahrer wieder einsteigt. »Komm, ich muss dir was zeigen.« Mit dem für Dicke typischen Watscheln geht Big Dee voraus bis vor ein Garagentor, so breit wie ein mittelgroßes Haus.
»Pass auf!« Er betätigt eine Fernbedienung, und das Tor schwingt auf. Die Kühlergrills von sechs Autos glotzen sie an. Und auf einem erkennt sie einen speziellen Stern.
»Du hast Nerven, Big Dee!«
Er lacht lauthals. »Nächstes Mal schick ich dir den, CLS Shooting Brake! «
Er wirft dem Typen mit dem Goldzahn, der ihnen gefolgt ist, die Fernbedienung zu und weist Richtung Haus.
In den Augenwinkeln entdeckt sie den Basketballplatz, auf dem ein Junge im Rollstuhl mit einem der Bodyguards Körbe wirft.
»Wie alt ist er jetzt?«
»Acht«, antwortet Big Dee und zeigt seinem Sohn den hochgereckten Daumen. »Mach ihn fertig!« Er lacht.
Der Junge lacht auch und saust in seinem Rollstuhl hinter dem Ball her.
Big Dees Gesichtszüge sind weich, seine Haut ist glatt und feinporig, seine Hände sind manikürt. Wenn er nur nicht diesen bescheuerten Trainingsanzug und die Goldkette tragen würde, denkt Christina. Ich bin authentisch, Christina, hat er ihr letztes Mal erklärt und an seiner Trainingsjacke herumgezupft. Auch wenn ich hier in diesem Palast neben lauter Weißen wohne, muss ich mich nicht verkleiden, oder? Und dann hat er ihr erzählt, was es ihm für einen Spaß macht, dass die Weißbrote , wie er sie nennt, ihn in ihrem Viertel ertragen müssen. Big Dee fängt einen Ball und wirft ihn aus großer Entfernung zum Korb, trifft ihn aber nicht. »Hey, Junior, das hast du nicht gesehen, klar?«
Der Junge lacht. Sie denkt an Jay. Dass er im künstlichen Koma liegt, während sie hier draußen einem zwielichtigen Millionär beim Körbewerfen zusehen muss.
»Also, Big Dee«, sagt sie, »worum geht’s?«
Big Dee gibt nie sofort eine Antwort, das weiß sie, also lässt sie sich von ihm ins Haus führen. Das intensive Vanillearoma, das in den Räumen liegt, überdeckt sogar Big Dees Aftershave. Ihre Schritte hallen, als sie über den spiegelnden weißen Marmorboden der Eingangshalle geht, an deren Wänden großformatige Bilder in Öl und Acryl hängen. Christina versteht nichts von Malerei, aber sie weiß, dass Big Dee auch in Kunst investiert.
»Was sagst du dazu?« Er meint den großen Glas- oder Kunstharzblock, der in der Mitte der Halle auf einem Sockel steht. Christina sieht zweimal hin, obwohl sie schon auf den ersten Blick die Schlange erkannt hat, die darin
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