Der Skandal (German Edition)
anrufen.« Sie will weitergehen, da hält er tatsächlich sein Handy ans Ohr.
»Sag es ihm selbst, Darling!«
Sie greift zum Handy.
»Christina! Hier ist einer, der mit dir reden will!«, hört sie.
Sie sieht ihn vor sich, den Zweimetermann, der sicher mehr als zwei Zentner auf die Waage bringt, und sagt: »Mein Bruder wurde ermordet, mein Sohn liegt im Koma, er wird vielleicht nicht überleben. Big Dee, ich hab jetzt keine …«
»Genau deshalb lade ich dich ein«, unterbricht er sie einfach, »jetzt.«
Sie zögert, sie will sich nicht einfach befehlen lassen, was sie tun und lassen soll, das konnte sie noch nie ertragen. Aber sie weiß, Big Dee lädt nicht einfach einen Polizisten zu sich ein. Big Dee, eigentlich Gerald Benjamin Cooper, dreiunddreißig, verheiratet, zwei Kinder. Sein Vermögen belief sich letztes Jahr – offiziell – auf eine zweistellige Millionenhöhe. Nicht mitgerechnet sind die sicher vorhandenen Konten auf Antigua oder sonst wo in der Welt und auch nicht das Bargeld, das durch Drogengeschäfte in seinen Taschen landet – und in seinen Firmen.
Offiziell heißt es: Afroamerikaner hat sich mit Drogenhandel und Zuhälterei den Weg aus dem Ghetto erkauft. Dann hat er das alles aufgegeben und ist ein rechtschaffener Unternehmer geworden – mit einem gewissen Einfluss auf die Lokalpolitik. So weit die Legende.
Er ist Musikproduzent, besitzt ein eigenes Rap-Label, mit dem er Millionen umsetzt. Außerdem stellt er den Energy-Drink YellowLeo her, den er nur in ausgesuchten Clubs und Fitnessstudios vertreibt, außerdem hat er kurz vor Weihnachten eine Nagelstudio-Kette gekauft, die er inzwischen umstrukturiert und zum Franchise-Unternehmen gemacht hat. Das alles hat Christina abrufbereit gespeichert, weil Big Dees Vater letztes Jahr einem Raubmord zum Opfer gefallen ist. Christina hat den Täter gestellt – und Big Dee hat sie damals Sister genannt.
»Ich hab nicht viel Zeit, Big Dee.«
»Hey, wer hat die schon?«, gibt er zurück.
Christina wägt ab. Sie haben noch keinen Plan, keinen Hinweis. Einen Versuch wäre es wert.
»Okay«, sagt sie ins Telefon. »Aber, hey, warum fährst du immer noch keinen Mercedes, der wirkt nicht so protzig.«
Sie hört ihn lachen und gibt das Handy zurück. Goldzahn lacht auch und sagt: »Dann mal los, Darling!«
»Nenn mich nicht immer Darling , Goldzahn, klar?«
»Okay, wie soll ich dich denn sonst nennen? Sugar? «
»Am besten haltet ihr einfach die Klappe«, knurrt sie, worauf die beiden in wieherndes Gelächter ausbrechen.
Die Limousine gleitet sanft durch die Stadt. Während sie volle Dröhnung Rap-Musik ertragen muss – die die beiden Typen vorne mitsingen, als würden sie ein Video aufnehmen. Sie haben Spaß, geht es Christina durch den Kopf, genauso wie Travis Raymond ihn wahrscheinlich gehabt hätte. Das war hundertprozentig auch seine Musik.
»Der American Dream hat sich gewandelt«, hat Big Dee ihr gesagt. »Er wird für Leute wie mich wahr.« Im Ghetto aufgewachsen, mit sechs Geschwistern von verschiedenen Vätern, von denen nie einer da war. Die Mutter war wohl ähnlich unterwegs wie Charlenes Mutter, und der kleine Gerald hat durch sie und seine älteren Geschwister, die immer wieder in den Knast wanderten oder auf der Straße erschossen wurden, mitgekriegt, dass man nach ganz oben muss. »Raus aus dem Sumpf«, hat er sich ausgedrückt.
»Du musst so viel Schotter machen, dass du dich absichern kannst, darum geht’s. Du kaufst dir Sicherheit und Spaß. Scheißschotter ist alles. Nur darum geht’s.«
Trotzdem, so materialistisch ist er dann doch nicht, hat Christina erfahren, sein Sohn ist behindert, und er unterstützt mehrere Kinderheime und Schulprojekte.
Brewer setzt sich auf den Stuhl, den Muller ihm zugewiesen hat, direkt vor ihrem Schreibtisch. Er ist nicht sonderlich bequem, das weiß sie. Sie lässt sich in ihren Ledersessel sinken und tut so, als würde sie in einer Akte lesen. Sie lässt Brewer bewusst warten. Führung verlangt Autorität. Und Autorität zeigt man, indem man sich Raum nimmt. Raum und Zeit.
Makellos sieht er aus, wie immer. Als wären in seinem Büro keine drei Schreibtische, sondern Dusche und Ankleideraum. Nicht dass Ruth Muller etwas gegen Sauberkeit hätte, aber bei Brewer hat sie den Eindruck, er will damit seine Unfehlbarkeit demonstrieren. Dass er auch noch glaubt, die Welt sei von Gott erschaffen, macht ihn für sie auch nicht gerade sympathischer.
Mit solchen Leuten hat sie sich vor Jahren
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