Der Skandal (German Edition)
Übrigens waren Ihre Kollegen nicht untätig, während Sie einen Ausflug in den Schnee gemacht haben.«
»Es war kein …«, erwidert sie wütend, bricht aber mitten im Satz ab. Warum schnappt sie immer wieder nach Mullers Köder?
Muller nimmt eine Akte zur Hand und schiebt Christina ein Foto hin. »Das ist er.«
»Wer?«, fragt Christina und betrachtet es. Es ist ein Typ, wie sie zu Hunderten rumlaufen: schmales Gesicht, hellbraune Haut, Irokesenschnitt, oben gegelt, aufgeworfene Lippen – und ein dämlich provokanter Blick. Wahrscheinlich ist er high gewesen, als er fotografiert worden ist.
»Rizal Al-Khalib, dreiundzwanzig«, sagt Muller, »schon dreimal gefasst wegen Drogenhandel. Er ist selbst drogenabhängig und war auf der Suche nach Bargeld. Vermutlich hat er die Nerven verloren, als er gesehen hat, dass jemand in der Wohnung war.«
Christina starrt Muller an. »Moment, reden Sie gerade von dem Mord an meinem Bruder?«
Muller schiebt das Foto in die Aktenmappe zurück.
Christina hat noch nie gelacht im Büro von Muller. Jetzt tut sie es. »Das ist doch Bullshit. Wer hat Ihnen das denn geliefert?«
»Detective Lieutenant Brewer wäre sicher sehr erfreut zu hören, wie Sie seine Arbeit bezeichnen.« Mullers Lippen verziehen sich zu einem halb spöttischen, halb amüsierten Lächeln.
»Und was ist mit der Spur Kondracki?« Christina zwingt sich, ruhig zu bleiben.
»Geben Sie das an Brewer weiter. Er wird sich drum kümmern.«
»Sie wissen genau, dass Brewer einen Scheiß tun wird …«
Muller bringt sie mit einer knappen Handbewegung zum Schweigen.
»Andersson, Sie sind beurlaubt. Halten Sie sich raus. Sie scheinen sich nicht im Klaren zu sein, was das für Folgen haben kann. Ich hatte wegen Ihnen schon eine Unterredung mit dem Chief of Police.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Der Chief of Police will keine Polizistin, die ihren eigenen Privatkrieg führt.«
Christina springt auf. »Ich möchte mal wissen, wie Milosz reagieren würde, wenn jemand aus seiner Familie in seinem Haus ermordet worden wäre! Dieser miese kleine polnische Wich …« Ihre Hände zittern. Sie merkt, wie ihr Mund trocken wird.
»Nicht in meinem Büro, Andersson!«, unterbricht Muller sie. »Ich habe weder die Zeit noch die Lust, mit Ihnen über die Anordnung von Chief of Police Milosz zu diskutieren. Und jetzt gehen Sie und kümmern sich um Ihren Sohn. Ich habe gehört, er ist aus dem Koma erwacht.«
Christina ist sprachlos, sie nickt mechanisch. Dass Jay einen Rückfall erlitten hat, verschweigt sie jetzt lieber.
»Ich habe Ihnen ja gesagt, bei Dr. Joffe ist er in besten Händen.« Muller öffnet irgendeine Akte und beginnt zu lesen. Die Unterredung ist also zu Ende.
»Ach«, sagt Christina, als sie endlich die Sprache wiedergefunden hat. »Wer hat Ihnen eigentlich gesagt, dass ich in Ashland war?«
»Das tut nichts zur Sache, Andersson.«
Christina ist schon an der Tür, als Muller sagt: »Der Fall ist so gut wie abgeschlossen. Ach, und im Übrigen haben wir Big Dee mitgeteilt, dass wir auf keinen Fall mit ihm verhandeln. Die Polizei lässt sich nicht auf solche Deals ein.«
Christina ist übel vor Wut, als sie schließlich Mullers Büro verlässt. Ein Junkie soll ihren Bruder erschossen haben?
Wenn wenigstens ihre Kollegen da gewesen wären, dann hätte sie bei ihnen ein bisschen Dampf ablassen können. Aber ihre Schreibtische sind verwaist. Christina gibt dem Papierkorb einen Tritt und wirft die Tür zum Flur hinter sich zu.
Vor den Aufzügen wartet ein Mann. Christina kennt ihn nicht, vielleicht ein Journalist, denn er hat einen Plastikausweis um den Hals hängen. Sie hofft für ihn, dass er sie nicht anspricht, wenn sie sich gleich neben ihn stellt.
Die Tür von Verhörraum drei geht auf, und Nolan Brewer kommt heraus. Jetzt kann sie sich nicht zurückhalten.
»Was ist denn das denn für eine Scheiße, Brewer?«
Er sieht sie überrascht an. »Andersson! Bist du nicht beurlaubt?«
Ohne auf seine Frage einzugehen, fährt sie ihn an: »Was versprichst du ihm, wenn er was gesteht, was er nicht getan hat, hm?«
Brewer lächelt auf diese selbstgefällige Art, die sie jedes Mal wieder aus der Fassung bringt. »Er hat letzten Monat eine alte Frau in ihrem Haus überfallen und getötet, das hat er gerade gestanden.«
»Na und, was hat das mit dem Mord an meinem Bruder zu tun?«
Sein Lächeln wird noch eine Spur selbstgefälliger. »Ich hab ihn fast so weit. Noch einen halben Tag, höchstens einen, dann
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