Der Skorpion von Ipet-Isut
Sklaven. „Du weißt sicher, dass Amenemhat mit dem Heer unterwegs ist, um die Verbündeten Smendes’ von Men-Nefer zum Kampf zu stellen? Alles, was ich von dir erbitte, Kahotep, ist eine kleine Botschaft an die Priesterschaft von Men-Nefer… eine Botschaft, wie du sie immer zu senden pflegtest mit deinen Tauben.“
Ihre Hand senkte sich auf seine Schulter und sie blickte ihm jetzt direkt ins Gesicht. Dort konnte Kahotep einen verhaltenen Zorn entdecken, der die Kühle ihrer Stimme Lügen strafte. Was er dann hörte, nahm ihm fast den Atem: „Ich will, dass du dem edlen Smendes eine Nachricht sendest! Höre mir gut zu, Kahotep, Diener des Ptah! Richte Smendes aus, er soll nach Waset ziehen und Amenemhat den Libyern überlassen. Ich werde ihm die Tore Wasets öffnen; ich werde ihm die Kronen der beiden Länder geben!“
Kahotep blinzelte in das Licht der Öllämpchen, die an der Wand hingen. Nein, das war kein Traum. Sein erster Verdacht nach Kiyas Bericht entsprach der Wahrheit! Sie verriet Amenemhat! Sie verriet den Mann, mit dem sie über Jahre ihren Bund zu dem alten Ramses verraten hatte! Kahotep schwankte zwischen Genugtuung, Abscheu vor dieser Regung und dann Unwillen, länger den Raum mit dieser Frau zu teilen. Sie war durchdrungen vom Gift des Skorpions, so sehr, dass sie diesem selbst zur tödlichen Gefahr wurde! Er dachte an Kiya und ihre kleine Tochter. Selbst ihr Leben war Nefertari nicht mehr wert gewesen als Staub!
„Ich werde dafür sorgen, dass die Tempel des Ptah im ganzen Land prächtiger denn je ausgeschmückt und erneuert werden“, bohrte sich Nefertaris Stimme wieder in Kahoteps Gedanken. „Aber… ich denke, dein größter Lohn wird sein, wenn du deinen Fuß auf Amenemhats Nacken setzt, nicht wahr?“
Kahotep fühlte sich angewidert. Schon vor Monaten hatte er sich gesagt, dass Waset ein stinkender Sumpf war, der alle Arten menschlicher Pestilenzen ausdünstete! Aber in diesem Augenblick erschien ihm der Gestank wirklich unerträglich. Und er selbst war dabei, in genau diesem Sumpf zu versinken! Er hörte die Worte der Königsmutter, hörte seine eigenen Antworten darauf wie die Stimme eines Fremden. Als Nefertari ihn schließlich verließ, dauerte es eine geraume Weile, bis Kahotep sich aus seiner erstarrten Haltung lösen konnte und wieder einen halbwegs klaren Gedanken fassen. Er lenkte seine Schritte zurück in den inneren Bereich des Tempels. Zunächst aber nicht hinauf zu den Taubenschlägen, sondern zu dem Raum, in dem Kiya untergebracht worden war. Die junge Frau schlief, aber die überstandenen Strapazen waren ihrem Gesicht immer noch aufgeprägt. Das Kind, das mit seiner falschen Lage der Mutter beinahe das Leben gekostet hatte, schlief ebenfalls, die winzigen Händchen in Kiyas Haare geklammert.
Lange stand Kahotep in der Tür und betrachtete die Szenerie. Die Hoffnung, dass Mutter und Kind überleben konnten, senkte sich beruhigend auf seine aufgewühlten und von Schuldvorwürfen geplagten Gedanken. Vielleicht würde Ptah der Lebensspender ihm sein Versagen verzeihen…?
Seit gut einem Tag marschierte Amenemhats Heer durch die Felsformation gen Westen, den angekündigten Truppen der Libyer entgegen. Das Gelände verhinderte den Einsatz von Streitwagen, und um sich nicht zusätzlich zu belasten, hatte man sie gleich zu Beginn zurück gelassen. Für die meisten der jungen Söhne Kemets war dieser Gewaltmarsch unter der glühenden Sonne eine ungewohnte und Kraft zehrende Prozedur. Nur wenige von ihnen hatten bereits militärische Erfahrung gesammelt, die Meisten waren einfache Bauern und Handwerker gewesen, bis sie dem Rekrutierungsbefehl gefolgt waren. Sie hatten sich mit zwei kleineren Kontingenten vereinigt, die aus Dörfern im Norden des Flusslaufes stammten. Amenemhat litt nicht minder als seine Männer. Die Jahre des Tempeldienstes hatten alle möglichen Härten von ihm abverlangt; endlose Nachtwachen, Fasten und einen Dienst, der minutiöse Konzentration erforderte. Aber die Strapazen, denen er sich jetzt ausgeliefert hatte, waren ganz anderer Natur. Mit jedem Schritt schien der Bronzepanzer auf seinen Schultern schwerer zu werden. Er fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und bemühte sich gestützt auf die Standarte mit dem goldenen Horussymbol, nicht hinter General Sobekemsaf zurück zu bleiben. Jener war einige Jahre älter. Aber für jemanden, der den größten Teil dieser Jahre im Kriegsdienst verbracht hatte, war dieser Marsch von geringer
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