Der Skorpion
Lebensinhalt.« Sie las die Botschaft aus einiger Entfernung. »Er wird sich höchstens noch steigern. Wir suchen jetzt nach einer Vermissten Anfang zwanzig mit den Initialen DZ oder ZD . Wer hat noch gleich diese Leiche gefunden?« Sie wandte sich Sheriff Grayson zu, der etwa fünf Meter von der Kiefer entfernt stand und mit den Händen in den Taschen und zusammengepressten Lippen die tote Frau betrachtete.
»Eldon und Mischa York, auf einer Wanderung. Sie besitzen hier draußen ein Sommerhäuschen und wollten dort eine Woche Urlaub machen. Sie sagen, wegen des Unwetters saßen sie dort fest, und sie wollten den Wetterumschlag nutzen, um sich ein bisschen Bewegung zu verschaffen. Ein Glück für uns, dass sie, als sie auf die Tote und all die Spuren stießen, gleich zu ihrem Allradfahrzeug gerannt sind und dahin gefahren sind, wo sie Handyempfang hatten und den Notdienst anrufen konnten.« Grayson wandte sich der FBI -Agentin zu. »Die beiden warten in ihrem Wagen, falls Sie mit ihnen sprechen wollen.« Er wies mit der behandschuhten Hand auf die Zufahrtsstraße, wo sämtliche Fahrzeuge vom Büro des Sheriffs und dem Kriminallabor um den Geländewagen der Yorks herumstanden.
»Ja, auf jeden Fall«, sagte Chandler. Hubschrauberlärm zerriss die Stille.
»Anscheinend haben wir dieses Mal Glück gehabt. Von den Stiefelspuren lassen sich gute Abdrücke fertigen. Endlich was Brauchbares«, bemerkte Alvarez.
»Für das Opfer hat das Glück nicht ausgereicht«, brummte Grayson und entfernte sich, die Hände zu Fäusten geballt. »Wer immer sie ist, sie hatte keine Chance.« Er sah nach oben zum Himmel, wo der Hubschrauber über der Waldgrenze auftauchte und sich über einem mit Schnee und Eis bedeckten felsigen Bergrücken in der Luft hielt.
Der Hubschrauber kam näher, ging tiefer, streifte fast die Baumwipfel am Rand der Lichtung. Es war nicht der Such- und Rettungshubschrauber der Polizei, den sie erwartet hatten. Ein blaues Emblem verriet, dass er einem ortsansässigen Nachrichtensender gehörte, und ein Kameramann, das riesige Objektiv auf die Lichtung gerichtet, lehnte sich heraus, so weit er es wagte.
Pescoli hätte ihn gern verscheucht. »Seht mal, wir haben Gesellschaft.«
»War doch klar«, knurrte Grayson mit zusammengebissenen Zähnen. »Da dachte ich, schlimmer kann’s nicht mehr werden, und schon taucht die Presse auf.«
»Früher oder später musste es ja so kommen«, sagte Agentin Chandler und blinzelte zu dem Hubschrauber hinauf. »Vielleicht können wir ihr Bildmaterial nutzen. Mal sehen, was sie sonst noch so entdecken, und wir geben eine Presseerklärung ab. Lasst uns die Presse benutzen, statt uns von ihr benutzen zu lassen.«
Pescoli betrachtete den Hubschrauber hoch oben in der frischen Bergluft. Chandler hatte recht; der Pressehubschrauber konnte ihnen unentgeltlich Unterstützung aus der Luft bieten.
»Nichts wie ran!«, wandte Grayson sich an die FBI -Agentin. » KBIT gehört ganz Ihnen.«
Jillian glaubte, den letzten Rest ihres Verstands zu verlieren. Sie blickte hinaus auf die in der Sonne glitzernde Schneefläche. Jetzt war die Gelegenheit da, dieser Einöde zu entkommen.
Aber wohin?
Und wie?
Sie musste auf MacGregor warten. Er war vor Stunden mit einer Kettensäge losgegangen. Sie hatte ihm nachgeschaut, als er mit dem Schneemobil davonfuhr, hatte den starken Motor brüllen gehört, doch seit das Geräusch verklungen war, wartete sie und hoffte, den Lärm der Säge zu vernehmen.
Doch es war nichts zu hören.
Der Hund, der sie offenbar endlich akzeptiert hatte, lag wieder zusammengerollt bei der Tür, das Feuer brannte im Kamin. Jillian hatte versucht, sich auf eines der Bücher zu konzentrieren, die sie gefunden hatte, aber es gelang ihr nicht. Sie war zu aufgedreht. Zu angespannt. Zu begierig darauf, endlich von hier wegzukommen. Die Zeit verging, und wenn sie herausfinden wollte, ob Aaron wirklich noch lebte – oder wenn sie auch nur in ihr normales Leben zurückkehren wollte! –, dann durfte sie sich nicht länger aufhalten lassen.
Und was ist mit MacGregor? Willst du ihn einfach zurücklassen?
»Natürlich«, knirschte sie. Der Mann bedeutete ihr nichts. Ja, sie fand MacGregor recht interessant, doch das führte sie darauf zurück, dass sie allein mit ihm in dieser abgelegenen Schlucht eingepfercht war. Sie hatte schon vom Stockholm-Syndrom gehört, nach dem eine Geisel anfängt, ihrem Entführer zu vertrauen, aber war es das? Die Wurzel ihrer Fantasien?
Jillian
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