Der Skorpion
Prinzessin. Obwohl er nicht damit hinterm Berg gehalten hatte, dass er einen Sohn zeugen würde, bevor seine Frau mit den letzten beiden Töchtern schwanger wurde, war Heidi, die Jüngste, inzwischen sein Augapfel.
»Genau die.«
Regan fluchte leise. »Sie ist erst fünfzehn.«
»Genau das sagt Brewster auch.«
Regan hörte geradezu, wie der Undersheriff über ihren unnützen, missratenen Sohn herzog. »Und er sagt vermutlich noch viel mehr.«
»Hm … ja …«
Das wurde ja immer schöner. Sie parkte den Jeep ein. »Bin gleich da. Ich bin schon hier, auf dem Parkplatz.«
»Gut.«
Sie legte auf, hieb mit der Faust aufs Lenkrad und fluchte wie ein Bierkutscher. »Ärger?«, fragte Alvarez sanft. Pescoli schaltete den Motor aus. »Riesenärger. Aber immerhin ist mein Sohn nicht tot. Noch nicht. Erst wenn ich ihm persönlich den Hals umgedreht habe!« Wo vorher Angst geherrscht hatte, war nur noch Wut. Sie versuchte, sich zu erinnern, wie sie sich fühlen würde, wenn man ihr mitgeteilt hätte, ihr Sohn läge im Leichenschauhaus. Schlimmer noch, was wäre, wenn nicht nur Jeremy, sondern auch Heidi und seine übrigen Begleiter und womöglich ein ahnungsloser Fahrer auf der Gegenspur ums Leben gekommen wären? »Wie konnte er nur so dumm sein?«
»Er ist ein Teenager.«
»Er ist ein Idiot. Schließlich weiß er, worum es geht. Ich habe ihm immer wieder gesagt … habe ihm Predigten gehalten über Alkohol am Steuer und … ganz gleich, was ich sage, es geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus.«
»Jeremy ist ein guter Junge.«
»Der ständig in Schwierigkeiten gerät.« Sie schüttelte den Kopf. Innerlich zitterte sie. Sogar ihr selbst fiel es schwer, ihre Reaktion zu begreifen. Schließlich war sie Polizistin. Aber wenn es um ihre Kinder ging, war sie wie eine Bärenmutter, die alles tut, um ihre Jungen zu beschützen. »Herrgott, Jeremy«, sagte sie, als wäre ihr Sohn bei ihr im Jeep.
»Hol mal tief Luft«, riet Alvarez. Pescoli stieß die Tür auf, und ein eiskalter Schwall fuhr ins Wageninnere. Aber Pescoli ließ sich nicht beirren. Ungeachtet des Schneegestöbers um sie herum, stapfte sie entschlossen zum Büro des Sheriffs.
Todmüde folgte Alvarez ihrer Partnerin. Sie ließ Pescoli gehen und begab sich zum Gruppenraum, wo ein weiblicher Deputy, eine junge Polizistin namens Zoller, die eingehenden Anrufe bearbeitete. »Wie geht’s?«, fragte Alvarez.
Die Frau zuckte die Achseln. »Eben noch war ordentlich was los, nach der Nachrichtensendung über die derzeitigen Opfer, aber jetzt läuft kaum noch was.« Sie erhob sich von ihrem Stuhl und reckte sich, immer noch den Kopfhörer im Ohr. Zoller war nur knapp über eins sechzig groß, aber fit und gepflegt, eine Dreißigjährige, die Marathon lief, Kinder mit Schulschwierigkeiten betreute und sich für ihre Abteilung ein Bein ausriss. »Vor einer Stunde kam ein Anruf von einem besorgten Vater. Offenbar hatte sein Kind sich weggeschlichen, um bei Timer Junction Schlitten zu fahren, und rate mal, worauf sie bei einer ihrer Abfahrten gestoßen sind.«
»O Gott, noch eine Leiche«, vermutete Alvarez, die gleich das Schlimmste annahm. Zoller schüttelte den Kopf, krause Locken hüpften um ihr kleines Koboldgesicht. »Nein, Gott sei Dank nicht. Ein Autowrack. Ein vier Jahre alter Ford Explorer. Beck O’Day war bereits am Tatort und hat ihn gesichert. Wartet auf die Kriminaltechniker, die rauffahren und nach Spuren suchen wollen. Weil es dermaßen heftig schneit, können sie nicht bis morgen früh warten, wenn es hell wird.«
»Keine Leiche?«
»Nein.«
»Die gleiche Vorgehensweise wie in den vorangegangenen Fällen?«
»O’Day hat sich noch nicht wieder gemeldet, aber sie wollte die Reifen auf einen Einschuss untersuchen. Eines weiß ich aber: Sie hat die Kennzeichen überprüft, und der Geländewagen ist auf C. Randall Jones aus Billings, Montana, zugelassen. Das C steht für Coolidge, wie der Präsident.«
Alvarez schnaubte. »Kein Wunder, dass er ein Initial benutzt.«
»Immer noch besser als Polk, wie der elfte Präsident der USA .«
»Warum drängt sich mir der Gedanke auf, dass er nicht am Steuer saß?« Sie dachte an die zwei noch nicht identifizierten Frauen, die sie heute gefunden hatten. Von denen eine tot war. Und das Leben der anderen hing an einem seidenen Faden. Beide Opfer. »Jones … keine der Botschaften enthält ein J. Wenn unsere Theorie zutrifft, handelte es sich bei der Fahrerin nicht um seine Frau oder
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