Der Skorpion
Frau? Das Bett wogte vor ihren Augen, die Krücke geriet in ihr Blickfeld. Jillian dachte an MacGregor und fragte sich, ob sie ihn je wiedersehen würde.
Ich liebe dich,
dachte sie und hätte beinahe dem übermächtigen Wunsch nachgegeben, die Augen zu schließen, sich fallen zu lassen.
Sie schlug weiter um sich und empfand eine vage Befriedigung, wenn Falda das Gesicht verzog oder aufschrie.
»Er hat nie aufgehört, dich zu lieben, wollte dich immer wieder anrufen, um dir alles zu erklären«, zischte sie, und Jillian konnte ihr kaum noch folgen. Wovon faselte diese Irre?
»Tja, das ist jetzt vorbei. Carl wird nie wieder von dir träumen.«
Carl? Wer war Carl?
Als hätte sie ihre Gedanken gelesen, fauchte Falda: »Carl ist mein Mann. Hast du gehört?
Mein
Mann! Und er kommt niemals zu dir zurück. Kapiert? Niemals!«
Carl?
Grundgütiger, diese Frau hatte den Verstand verloren. Der einzige Carl, den Jillian kannte, war der Zeitungsbote in Seattle … ein Mann in den Vierzigern mit einem alten Toyota-Pick-up, der ihre Katze verschreckte. Ach, sie wollte nur noch schlafen …
»Ach ja, ganz recht. Du kennst ihn nicht unter dem Namen Carl, wie?« Es klang schrecklich selbstzufrieden. »Wenn du könntest, würdest du ihn immer noch Aaron nennen.«
Aaron?
In diesem lichten Moment verließ Jillian aller Mut. Tausend gestochen scharfe Bilder ihres ersten Mannes schossen ihr durch den Kopf und schnitten schmerzhaft in ihr Bewusstsein. Wütend sah sie ihre Angreiferin an. »Aaron lebt.«
Faldas Lächeln war der Inbegriff des Bösen. »Jetzt hast du begriffen, wie?«
Ja, sie hatte begriffen. Während sie sich wehrte und kämpfte, der Äther ihr die Kraft raubte, ihr Verstand sich immer mehr trübte, begriff sie, dass diese Psychopathin sie nach Montana gelockt hatte, diese Frau, die Aaron liebte, und dass der Schweinehund, der vor vielen Jahren verschollen war, tatsächlich noch lebte.
»Ich bin seine Frau«, sagte Falda siegesbewusst, als hätte sie eine begehrte Trophäe eingeheimst. Aaron lebte also nicht nur, sondern hatte noch einmal geheiratet.
»Und das wird sich nie ändern«, triumphierte Falda. »Er kommt nicht zu dir zurück, wird dich nicht um Verzeihung anflehen.«
Als ob Jillian den verlogenen, betrügerischen Kerl zurückhaben wollte, den sie einmal zu lieben glaubte …
Du musst kämpfen, Jillian!
Sie riss den Arm hoch, doch Falda wehrte den Schlag ab, und mit einem dumpfen Geräusch landete das Tafelmesser auf dem Teppich.
Falda drückte noch immer das Tuch auf Jillians Gesicht und legte jetzt ein Knie auf ihre Kehle, nahm ihr den Atem, zerdrückte fast ihren Kehlkopf, gönnte ihr nicht einmal mehr die äthergeschwängerte Luft, die sie betäuben sollte.
Jillian bäumte sich auf und wand sich nach Luft ringend, doch die kräftigere Frau hielt sie fest, drückte sie zu Boden.
Jillian verließen die Kräfte, ihre Hiebe trafen ihr Ziel nicht mehr, ihre Gegenwehr erlahmte, je länger der stechende Äther durch ihre Nase in die Lunge drang. Die Welt verschwamm. Jillian blickte tief in die Augen einer Frau, von deren Existenz sie bisher nichts gewusst hatte.
»Es ist vorbei, Jillian«, versicherte Falda, rittlings auf ihrem geschwächten Körper hockend. »Dieses Mal wirst du
wirklich
sterben, verlass dich drauf.«
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31. Kapitel
M acGregor wusste, dass er es war.
Der Mann, der um fünf vor acht in dem Sportgeschäft auftauchte, musste Carl Rousseau sein. Chilcoate hatte ihm eine Personenbeschreibung gegeben, und außerdem trug der Mann eine Basecap und genau die gleiche Jacke wie an dem Tag, als das verhängnisvolle Foto aufgenommen wurde, das Foto, das jemand von Missoula aus an Jillian geschickt hatte.
Inzwischen war es hell, und kleine, zarte Flocken rieselten vom Himmel, als Rousseau, einen Pappbecher Kaffee in der Hand, die Straße entlangkam. Auf dem Weg zum Laden wich er einer Frau mit einem Windhund aus und hielt den Blick vor sich auf den Gehsteig gesenkt, um vereiste Stellen zu vermeiden.
Aus der Fahrerkabine des Pick-ups, wo MacGregor darauf gewartet hatte, dass Rousseaus Laden öffnete, sah er reglos zu, die Sonnenblende heruntergeklappt, um das Wageninnere zu verdunkeln, damit er nicht entdeckt wurde.
Mit der freien Hand griff Rousseau in seine Tasche und kramte vermutlich nach dem Schlüssel. MacGregor juckte es in den Fingern, das Schwein zu erwürgen, das Jillian in dem Glauben zurückgelassen hatte, dass er tot wäre. Und jetzt führte er dreist ein anscheinend
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