Der Sog - Thriller
kniff die Augen zusammen. Die gebeugte Haltung des Manns war ihm mehr als bekannt. Aber das konnte nicht sein …
» John?«
Reverend John Hird stand auf der andern Seite der Straße. Er winkte mit seinem Gehstock. Neben ihm stand ein kleiner Koffer.
» Sie haben mich aus dem Krankenhaus entlassen! Ich habe versucht zu telefonieren, aber die Leitung war den ganzen Vormittag besetzt. Haben Sie Pornos heruntergeladen, Sie dreckiger schwarzer Taugenichts?«
Pritam lächelte und runzelte gleichzeitig die Stirn.
» Aber John, Sie … Ich habe doch gesehen, wie …« Hatte er Hirds Tod geträumt? Er war so müde, er wusste nicht … oder war das hier ein Traum?
» Hier!«, winkte ihn John herüber. » Packen Sie mal mit an.«
» Okay«, sagte Pritam und trat auf die Straße, » aber ich verstehe nicht …«
Es gab ein dumpfes, fleischiges Geräusch, als ihn der Wagen erfasste und auf die Straße schleuderte. Der Fahrer trat zu fest auf die Bremse, und das Auto geriet ins Rutschen … ein blockiertes Rad erfasste Pritams Bein und rieb Fleisch und Knochen in den Asphalt. Wagen und Opfer kamen schließlich zum Stillstand. Der Regen fiel sinnlos.
Die alte Frau, die von der gegenüberliegenden Straßenseite zugesehen hatte, humpelte eilig davon.
In der Küche roch es scharf nach Kräutern und Ölen. In kleinen, sauberen Schalen lagen blaue Boretschblüten, Löwenzahn, wachsartige Efeublätter. In einer Glasschüssel war Frauenhaar. Eine Handvoll Pappelknollen lag in einem Mörser. Suzette nahm den schweren Stößel und begann sie zu einer würzigen Paste zu verreiben.
» Was machst du da?«
Suzette blickte auf. Quincy stand in der Tür.
» Wolltest du nicht mit Daddy spielen?«
Quincy zuckte mit den Achseln. » Der ist eingeschlafen.«
Suzette nickte. Sie und Bryan waren beide erschöpft. Sie wachten abwechselnd über Nelson, und keiner von ihnen hätte einschlafen können, ehe der andere nicht wach war und beobachtete, wie sich seine Brust hob und senkte. Nelson hatte etwas mehr Farbe bekommen und öffnete von Zeit zu Zeit die Augen, doch dann glitt er immer schnell in einen erhitzten, unruhigen Schlaf zurück. Suzette und Bryan hatten sich an dem Tag, an dem Nelson krank geworden war, wortlos darauf verständigt, Quincy nicht zu beunruhigen. Suzette wusste, der böse Zauber würde vergehen und Nelson wieder aufblühen, es hatte also keinen Sinn, der Kleinen unnötig Angst zu machen.
» Also, was machst du?«, wiederholte Quincy.
» Elefantenfarbe. Mit der man Elefanten anmalen kann.«
Quincy verdrehte die Augen. » Das ist keine Elefantenfarbe. Wir haben keinen Elefanten.«
Suzette lächelte. » Hättest du denn gern einen?«
Quincy dachte darüber nach. » Ja.«
» Er müsste aber bei dir im Zimmer schlafen«, sagte Suzette.
» Könnte er nicht bei dir und Daddy schlafen? Euer Zimmer ist größer.«
» Nein. Daddy ist allergisch gegen Elefanten. Er müsste in deinem Zimmer und in deinem Bett schlafen.«
Quincy zog die Nase kraus.
» Dann lieber keinen Elefanten«, entschied sie.
Suzette nickte – kluge Entscheidung. Sie mischte die anderen Zutaten unter die Pappelsamenpaste. Sie war erschöpft und wütend auf Nicholas aus ihrem kurzen Schlaf erwacht, der immer noch nicht angerufen hatte. Interessierte ihn sein Neffe auch nur im Geringsten? Sie hatte beschlossen, ihre heiße Empörung in Handeln umzuwandeln und angefangen, diese Heilmixtur zu fertigen. Nur wie wurde sie jetzt gleich wieder angewendet? Über das Herz geschmiert mit einer Bandage darüber? Oder auf die Schläfen.
» Gibst du mir mal dieses Buch, Schätzchen?« Sie nickte in Richtung ihres Küchenschränkchens, dessen Fächer voller Bücher über Kräuter, Zauber und Zaubersprüche war. Ein Buch über Heilkräuter lag offen darauf.
Quincy hüpfte hinüber, brachte das Buch und hüpfte zurück zu den Fächern mit den Büchern. Sie hatte noch nie das geringste Interesse am Hobby ihrer Mutter gezeigt, aber heute betrachtete sie die Buchrücken aufmerksam.
» Soll ich dir Dora the Explorer einlegen?«, fragte Suzette.
Quincy schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf. Sie langte nach oben und zog ein altes Buch heraus. Suzette beobachtete aus dem Augenwinkel, wie Quincy es öffnete. Sie konnte schon gut lesen für ihr Alter, aber dieses Buch war sicher voller Worte, die sie nicht kannte. Es war einer der betagten Bände ihres Vaters: Kräuter des alten Europas. Es war wenig überraschend, dass es Quincy ins Auge gestochen war: Auf
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