Der Sog - Thriller
Rings, aber auf vier kam es an: drei Pfosten, die ein Dreieck bildeten. Und in dessen Mittelpunkt eine niedrige Säule, hüfthoch und so breit wie ein Oberschenkel, aus senkrecht stehenden Ästen gebildet und von geflochtenen Zweigen zusammengehalten. Auf dieser korbähnlichen Säule befand sich ein Käfig in Kugelform. Er war ebenfalls aus Zweigen und Ästen gebaut, aber es befanden sich auch Knochen darin. Ranken von Kletterpflanzen, harte Stängel und Haare hielten den Ballon stabil.
In dem Käfig saß ein dürres Mädchen. Selbst Mr. und Mrs. Gerlic wäre es schwergefallen, ihre ältere Tochter wiederzuerkennen. Miriams Augen waren rot und geschwollen vom Weinen. Ihre nackte Haut pulsierte vor Schwellungen – tausend Spinnenbisse. An Hand- und Fußgelenken war sie an die Rippen der Kugel gefesselt. Als sie sah, wie die alte Frau sich näherte, tropfte ein armseliger Strom Urin zwischen ihren Beinen hervor. Ihre Kehle war heiser von stundenlangem, sinnlosem Schreien, und sie brachte nur ein unterbrochenes Seufzen hervor.
» Zeit zum Abschied«, sagte die alte Frau fröhlich.
Sie strich mit ihrem Zweig sanft über die kleine Leiter, die zu dem sonderbaren Käfig hinaufführte, dann kletterte sie nach oben und sprach dabei alte, alte Worte. Sie hob ihr funkelndes Messer und streckte die Hand nach dem Mädchen aus.
29
Nicholas beobachtete seine Mutter.
Katharine Close saß in einem Sessel an dem Bett, in dem Laine lag und betrachtete die jüngere Frau. Laines Kiefer zuckte, und kleine Wellen tanzten über ihre Stirn. Der Kratzer in ihrem Gesicht heilte schnell. Katherine befühlte Laines Stirn und Wangen mit dem Handrücken und nickte für sich.
» Es ist besser geworden«, sagte sie und warf ihrem Sohn einen Blick zu, der ausdrückte, sie sollten Laine jetzt eine Weile in Ruhe schlafen lassen.
Sie schlichen leise zur Küche.
» Ich habe deine Schwester angerufen«, sagte Katharine. » Nelson ist krank.«
» Ah?«
» Nichts Ernstes. Sie wollte, dass ich dir sage, sie › würde dranbleiben‹. Du wüsstest schon, was sie meint. Weißt du es?«
Katharine ging zur Spüle und füllte den Wasserkocher.
» Ja«, antwortete Nicholas und wartete darauf, dass seine Mutter ihn aufforderte, sich näher zu erklären. Sie holte die Kanne und die Teeblätter aus dem Regal, und Nicholas wurde klar, dass die Frage nicht kommen würde.
Er ging zum Kühlschrank und holte die Milch heraus. Sie setzten sich an den Tisch. Katherine schenkte Tee ein. Er roch stark und gut.
» Sie will immer noch, dass ich zu ihr hinunterziehe. Und sie sagte, du würdest es dir ebenfalls überlegen.« Katharines Frage kam leichthin, und sie sah ihren Sohn über den Rand ihrer Tasse hinweg an.
Nicholas rührte Zucker in seinen Tee. » Nein, das stimmt nicht.«
Sie tranken eine Weile schweigend ihren Tee.
» So viel Regen«, sagte Katharine. » Zu viel.«
Nicholas fragte sich, wie er eigentlich aussah. Er wusste gar nicht mehr, wann er zuletzt gegessen hatte. Oder sich rasiert. Er musste wie der Alptraum jeder Schwiegermutter aussehen. Oder wie jemand, von dem jede Mutter auf der Welt hoffte, ihr Sohn würde nie so enden. Er betrachtete seine eigne Mutter. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ihre Haut erschien so dünn, dass er fast glaubte, sie darunter denken zu sehen. Sie faltete die Hände, legte sie auf den Tisch und sah ihn wieder an. Er kannte diese Pose seit langem. Es war die gleiche nachsichtige Miene, die sie aufgesetzt hatte, wenn sie ihn mit dreizehn beim Onanieren in seinem Zimmer erwischte. » Mach’s unter der Dusche«, hatte sie dann immer gesagt. » Ich hab schon genug zu waschen.«
Er wartete darauf, dass sie mit ihrem Vortrag begann.
» Dein Vater«, fing Katharine an, runzelte die Stirn und rutschte unbehaglich auf ihrem Sitz, » glaubte, dass Mrs. Quill eine böse Frau war.«
Nicholas war so überrascht, dass er ein paar Sekunden brauchte, bis er merkte, dass er die Luft anhielt.
Katharine nahm die Augen nicht von ihm.
» Don sagte, ich soll auf keinen Fall zu ihr gehen, wenn ich etwas zu flicken hätte«, fuhr sie fort. » Ich habe sowieso alles selbst gemacht – wir hatten weiß Gott kein Geld für eine Schneiderin übrig.« Sie zuckte mit den Achseln, zog sich die Strickjacke enger um die Schultern und lächelte liebevoll. » Er war so ein Narr, dein Vater. Hätte er nichts gesagt, hätte ich nichts getan. Aber es hat mich so wütend gemacht, dass Don glaubte, mir befehlen zu können, was ich tun
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