Der Sog - Thriller

du müde bist, iss, wenn du hungrig bist, und in der übrigen Zeit arbeite schwer und lass es dir gut gehen. Er streifte die Boxershorts ab und schlug die Bettdecke zurück, um sich in seine aus ägyptischer Baumwolle handgenähten Laken zu schmiegen.
    Das Leben war schön. Das Leben war perfekt.
    Klack. Klackerdiklack.
    Tony setzte sich auf.
    Das hallende Geräusch war aus dem zum Schlafzimmer gehörenden Bad gekommen. Etwas war in das Waschbecken gefallen. Tonys Gesicht wurde heiß. Es war ein siebentausend Dollar teures Waschbecken von Villeroy & Boch, und der Gedanke, dass eine schlecht aufgehängte Lampe das Email zertrümmert haben könnte, machte ihn auf der Stelle wütend. Er schlug die Bettdecke zurück und stapfte nackt durch den begehbaren Kleiderschrank, an seinen Designeranzügen und sündhaft teuren Schuhen und Krawatten vorbei zum Bad.
    Das Badezimmer war breit wie eine Garage, in eisigem Weiß gefliest mit einer kathedralenartigen Decke, die Dan einen angenehm erotischen Ausruf des Erstaunens entlockt hatte, als Tony sie ihm gezeigt hatte. Eine Wand bestand aus einer einzigen Scheibe Einwegglas, sie bot einen ungehinderten Blick auf die Stadt und ließ deren Lichter den Raum erleuchten. Drei große Kippfenster erhoben sich über dem breiten weißen Toilettentisch. Das erste bis Kopfhöhe, das zweite bis drei Meter über dem Boden, das dritte stieg bis zur fünf Meter hohen Decke hinauf. Diese riesigen Fenster wurden normalerweise geschlossen gehalten – es konnte böig sein hier oben, und selbst in dieser Höhe konnte der Verkehrslärm vom Boulevard unten störend wirken. Aber das mittlere Kippfenster hatte er einen Spalt offen gelassen, und etwas Dunkles hockte auf dem oberen Rand der Scheibe. Ein Vogel? Eine Maus?
    Tony schlich näher und überlegte, womit er den lästigen Eindringling wegscheuchen könnte. Und dann blieb er stehen. Sein Magen gurgelte, als wäre er voller verdorbener Milch.
    Die Kreatur, die auf dem mittleren Fenster hockte, war eine Spinne. Eine von der Größe der Taranteln, die früher am Traktorschuppen seines Vaters in Innisfail emporgekrochen waren. Scheußliche Biester. Tony wollte gerade rückwärtsschleichen, um in die Küche zu rennen und das Insektenspray zu holen, als er etwas bemerkte …
    Sie hält etwas.
    In seinen Kiefern – Mund, Fangzähne? – hielt das Geschöpf einen winzigen weißen Kiesel. Tony beobachtete, wie die Spinne auf dem Rahmen balancierte, einen schüchternen, halben Schritt vorwärts machte und den Kiesel fallen ließ.
    Er fiel durch die Luft und landete – klackerdiklack – im Waschbecken.
    Tony schaute aus großen Augen zu. Dann geschah etwas noch Unglaublicheres. Die Spinne stieß sich ab und fiel ins Leere. Im allernächsten Moment kroch eine Spinne von derselben Größe, aber einer anderen Art vorsichtig von der Gebäudeseite auf die mittlere Scheibe. Auch sie hielt einen weißen Kiesel im Mund und trug ihn zur Mitte der Scheibe. Dann blieb sie stehen und wartete reglos.
    Sie wartet auf mich.
    Tony trat zögernd einen Schritt vor, ohne den Blick von der Spinne zu nehmen. Dann noch einen Schritt, bis er vor dem Waschbecken stand und zu der Spinne hinauf-
starrte.
    Die Kreatur beugte sich vor und ließ ihr hartes weißes Päckchen fallen.
    Tony fing den Stein auf und sah, wie sich die Spinne rückwärtsfallen ließ, an der Scheibe hinunterglitt und in die Dunkelheit stürzte.
    Diesmal kam keine mehr, um ihren Platz einzunehmen.
    Tony war schon im Begriff, nach Dan zu rufen, aber dann betrachtete er den Kieselstein in seiner Hand. Zwei ähnliche lagen im Waschbecken. Sie waren glatt, weiß und leicht oval, wie kleine Augäpfel. Der Kiesel in seiner Hand war durchscheinend wie Quarz und kalt. An seiner flachsten Stelle war ein Zeichen eingeritzt, eine gerade Linie mit einem Haken an jedem Ende:

    Das Zeichen war in einem rostigen Rot aufgedrückt worden.
    Tony schaute ins Waschbecken. Die beiden anderen Steine trugen dasselbe Mal. Es hatte etwas Trauriges an sich. Etwas Deprimierendes. Etwas, das ihm bekannt vorkam.
    Papas Wange. Das Zeichen sieht genauso aus, wie die tiefen Linien in der Wange meines Vaters. Die immer tiefer wurden, je kränker er wurde …
    Eine Flut unglücklicher Erinnerungen überspülte Tony wie ein giftiger Wind. Er erinnerte sich, wie sein Vater hechelnd wie ein Hund im Krankenhausbett gelegen war, die Wangen stachlig weiß und tief gefurcht. Und seine Augen, Papas blaue Augen. Papas Körper war dürr und starb, die