Der Sog - Thriller
noch’n Mädel, keine zwölf, als die Kartoffelblätter anfingen, schwarz zu werden und zu verfaul’n.« Ihr irischer Akzent kam immer stärker durch, während sie sprach, und ihr Blick ging weiter in die Ferne. » Du hast tote Sach’n gerochen. Aber nichts stinkt wie tausend Felder mit ’ner Million nasser, faulender Rüben. Keine Kartoffeln. Also haben sie uns Mais verkauft. Peel’s brimstone. Es schlitzt dich von innen auf und hilft dir nichts. Nutzlos. Wir haben fürs Sterben bezahlt. Wir fingen zu hungern an. Meine wunderschöne Mam …«
Rowenas Haut hatte die kalte, bläulich weiße Farbe von Marmor im Mondlicht. Sie hätte aus Milchstein geschnitzt sein können, wären die funkelnden dunklen Augen nicht gewesen.
» Sie, wir alle hungerten, bis auf die Knochen. Also stahlen wir. Und wir hurten alle. Nur dass ich ’ne schlechte Wahl traf. Der Mann, für den ich hurte, wollte etwas, das ich ihm nich geben wollte. Er wollte ’ne Frau und ’nen Sprössling.« Sie runzelte die Stirn. » Süße Worte und Geschenke. Ich hab darüber nachgedacht, wahrhaftig. Aber die Schmach eines englischen Ehemanns war zu viel. Zu viel.« Sie kräuselte angewidert die kleine Nase. » Er is gewalttätig geworden, dieser Engländer. Fing an, hart zuzuschlagen und sich das Einzige, was ich zu verkaufen hatte, umsonst zu nehmen. Also hab ich ihn erstochen. Aber auch das hab ich nicht gut hingekriegt. Er hat drei Tage gebraucht, um zu verrecken. Jede Menge Zeit, um zu verraten, wer es getan hatte, und die Gendarmen fanden mich und haben mich eingelocht. Und vor Gericht gestellt. Sie haben mich zum Galgen verurteilt.«
Sie strich träge mit dem Schürhaken durchs Feuer und wandte den Blick Nicholas zu.
» Aber wir hatten ein Kalb, ein mageres Ding, aber das Wertvollste, was meine Mam besaß. Mam führte es an Mabon, wenn wir Dank für die Ernte sagen, in den Wald. Gab nich viel zu danken. Aber sie hat es hinausgeführt und ihm die Kehle durchgeschnitten und Ihn gebeten, mich vor dem Galgen zu retten.« Rowena nickte zu dem geschnitzten Bild des Grünen Manns. » Die Woche drauf wurde mein Urteil in Deportation umgewandelt. Mam hat mich in Youghal verabschiedet. Sie ist den ganzen Weg zu Fuß gelaufen, das arme, dürre Ding, und als sie uns auf die Pier geführt haben, kam sie angerannt und hat mir erzählt, wie sie mein Leben erkauft hat. Was Er für sie getan hatte. Ich musste ihr versprechen, dass ich, egal wo ich landete, meine Dankbarkeit zeigen würde, indem ich auf Seinen Wald aufpasse.
Er hat mich gerettet.«
Sie sah Nicholas mit erhobenem Kinn an.
Das Feuer knisterte ungemütlich.
Nicholas hielt ihrem Blick stand.
» Und wer rettet die Kinder vor Ihnen?«
Quill bewegte keinen Muskel. Sie schien wie in Licht und Zeit erstarrt, eine Statue aus Eis, die tausend Jahre lang unversöhnlich vor sich hin starren konnte. Zuletzt sprach sie.
» Blut ist das einzige Opfer, das den Herrn zufrieden stellt.«
In Hannahs Magen war nichts mehr, was spucken konnte. Während sie sich abgemüht hatte, die Hände aus der Seide zu befreien, waren die klebrigen Strähnen zwischen ihren Fingern und unter den Fingernägeln hängen geblieben. Schließlich hatte sie ihre Finger so weit befreit, dass sie ein Loch reißen konnte, durch das sie ihren Unterarm schob. Sie säuberte sich Augen und Mund, aber das Gefühl des hartnäckigen Netzes, das an ihrem Gesicht und Haar zerrte, ließ sie würgen. Was sie aus dem Haar entfernte, blieb an den Fingern wieder haften. Nach einer Weile geriet sie in Panik, und sie sprang herum und versuchte, die Weben abzuschütteln. Während sie herumwirbelte, stieß sie gegen den mumifizierten schwarzen Jungen in seinem Kokon; er raschelte trocken. Ihr Magen hob sich zu einem langen Würgeanfall.
Als sie dann auf allen vieren kniete und die Speichelfäden aus ihrem Mund hingen, bemerkte sie etwas in der Ecke des Kellers. Sie wischte sich den Mund ab und eilte hin. Ihr Rucksack!
Sie trug ihn zu der Ziegeltreppe und öffnete ihn im kargen Licht der drei Schlitze, durch die der Mond schien. Ihr Herz klopfte aufgeregt. Der Rucksack enthielt durchnässte Zeitungen, die immer noch scharf nach Alkohol rochen. Lose Streichhölzer, verstreut wie kleine Knochen. Sie wühlte und fand, wonach sie suchte: das Schälmesser, dessen Klinge immer noch in zerknitterte Alufolie gewickelt war. Allein seinen Plastikgriff in den Händen zu halten, bewirkte, dass es ihr besser ging. Eine Waffe.
Sie stieg die Treppe hinauf und
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