Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Sog - Thriller

Titel: Der Sog - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
Vom Netzwerk:
hinunter.
    Nicholas sah, wie Quill aus ihrem Schaukelstuhl aufstand und zur Feuerstelle ging.
    Ihre Waden – plump und blau geädert, dann wieder bleich, schlank und straff – schoben sich vor seinem Gesicht vorbei. Sie kniete sich vor das größere Feuer und begann, die Kohlen zu schüren. Orangefarbene Funken stiegen auf wie eine Fontäne sterbender Sterne.
    Draußen wurde der Wind stärker. Er schlug an das Fenster und ließ es in seinem Rahmen rattern, und er pfiff kummervoll im Rauchfang. Das Feuer im Ofen loderte heller, als wäre es eifersüchtig auf seinen zulegenden Nachbarn.
    Nicholas’ Gedanken arbeiteten sich wie eine Schlange durch ihre Höhle zurück zu dem Badezimmer der Wohnung in Ealing, wo er beobachtet hatte, wie Cate ihr Handy hörte, von der Leiter stieg, ausrutschte und stürzte, um auf dem eisigen Weiß der Badewanne aufzuschlagen und reglos liegen zu bleiben. Sie wäre nicht gestürzt, wenn er nicht angerufen hätte. Er hätte nicht angerufen, wenn er nicht mit dem Motorrad gestürzt wäre. Er wäre nicht mit dem Motorrad gestürzt, wenn er nicht das Gesicht zwischen den dunklen Bäumen im Walpole Park gesehen hätte. Und er hätte das Gesicht nicht gesehen, wenn Quill nicht darum gebeten hätte.
    Sie hatte den Grünen Mann zu Hilfe gerufen.
    » Sie haben meine Frau umgebracht«, flüsterte er.
    Quill zog einen Schürhaken durch die Kohlen, als hätte sie ihn nicht gehört, und blies sanft durch geschürzte Lippen. Flammen loderten auf, und zur Belohnung wurde ihr Profil jung und vollkommen, eine grausame und hübsche Skulptur.
    » Ich habe eine Bitte geäußert. Der Grüne Mann hat alles arrangiert. Aber getötet hast du sie«, berichtigte sie ihn.
    Die Flammen in der Feuergrube schlugen höher.
    » Sie selbstsüchtiges Miststück«, flüsterte er. » Cate. Ich. Tristram. All diese Kinder.«
    Quill sah ihn von der Seite her an. » Du hast nicht gefragt, wieso«, sagte sie.
    Nicholas sah, dass sie einen schmalen Gürtel unter der Strickweste trug. Daran war eine Scheide befestigt, schlank wie ein Brieföffner. Aus der Scheide ragte ein knöcherner Griff.
    » Ich weiß, warum.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch.
    » Sie haben sich mit dem Leben dieser Menschen selbst ein längeres Leben erkauft.«
    Sie sah ihn lange an, lange genug, dass er dem hungrigen Knistern des Feuers und dem gespenstischen Heulen des kräftigen, kalten Winds lauschen konnte – die Szene war so ländlich, sie hätte hundert Meilen entfernt und vor hundert Jahren spielen können. Dann schüttelte sie den Kopf und lachte. Für einen kurzen Moment war es ein hübsches, mädchenhaftes Lachen ohne Gift oder Hass. Dann wurde es sauer und erstarb. Sie knirschte mit den Zähnen.
    » Ich habe nichts für mich selbst getan, Nicholas Close«, sagte sie tadelnd. » Ich hätte dich für klüger gehalten.«
    Er sah sie an: eine uralte Frau, über deren Züge ein geisterhaftes Aufflackern von Jugend spukte, und sie schürte ein Feuer in einer alten Hütte mitten in einem Wald, der eigentlich schon längst planiert und bebaut sein müsste.
    » Für den Wald?«
    Sie stieß ein letztes Mal ins Feuer. Dann stand sie zufrieden, wenn auch unter Schmerzen auf.
    » Alles, was ich getan habe, habe ich für diesen Wald getan.«
    Sie setzte sich wieder und machte sich an dem hölzernen Kalender zu schaffen, dann beugte sie sich vor, um aus dem Fenster zu sehen. Dabei traf das Mondlicht auf ihre Haut, spülte die Jahre fort und erweckte die junge Rowena Quill zu vollem Leben. Sie blieb so – jung und makellos – während sie sprach und zum Mond emporstarrte.
    » Meine Mam war eine kundige Frau. Sie hat mich unterrichtet. Ihre Mam hat sie unterrichtet. Wir waren von alters her Frauen des Walds. Früher hat man Frauen mit Wissen Respekt erwiesen. Wir verstanden uns auf Heilkunst. Wie man dies und jenes voraussagte. Wie man dem Glück ein wenig nachhalf. Respekt und Angst. Aber die Welt … die Welt drehte sich weiter …« Rowena sah ihn schief an. » Mir Leben erkauft, sagst du? Weißt du, wann man zu der Zeit, als ich zur Welt kam, als alte Frau galt? Mit vierzig.« Sie zischte die Worte angewidert. » Vierzig Jahre waren alt. Wir waren ein Dutzend Leute pro Hütte in unserm kleinen Dorf. Unser Land war seit langem in der Hand der Engländer. Cromwell hatte ganze Arbeit geleistet. Meine Familie waren Pachthäusler, ziemlich armselige Leute. Wir bauten Rüben an, Kartoffeln. Wir bauten alle Rüben an …« Sie nickte für sich. » Ich war

Weitere Kostenlose Bücher