Der Sohn der Halblinge: Roman (German Edition)
hatten.
Auf dem erhöhten und mit zahlreichen Schnitzereien versehenen hölzernen Thron saß Haraban, Namensgeber und Immerwährender Herrscher eines Reiches immerwährender Wälder, wie er stets von seinem Kanzler auf Urkunden vermerken ließ, die er zumeist mit einem einfachen Federstrich unterzeichnete.
Auf den ersten Blick sah Haraban aus wie ein gewöhnlicher Mensch, und das war er gewiss zu Beginn seiner Herrschaft vor anderthalb Jahrtausenden auch gewesen. Aber Arvan fiel bei näherem Hinsehen auf, dass seine Haut der Rinde eines Baums glich. Sie war runzelig und zerfurcht und wirkte auf eine erschreckende Weise hölzern.
Das galt auch für die Hände, die aus den Ärmeln seines königlichen Purpurgewandes ragten. Sobald sie sich bewegten, glaubte man im ersten Moment, sie müssten zerbrechen und splittern wie Holz. Allerdings waren sie allem Anschein nach durchaus so beweglich wie die Finger eines normalen Menschen.
Arvan kannte die Geschichten, die im Halblingwald über Haraban kursierten. Dunkelste Magie hatte dem Waldkönig einige Eigenarten langlebiger Bäume verliehen. Laut offizieller Version hatte Haraban die Veränderungen seines Körpers allerdings einer besonderen Gnade der Waldgötter zu verdanken, die in ihm angeblich den rechtmäßigen Immerwährenden Herrscher sahen. Haraban ließ das Jahr um Jahr in einem großen Fest feiern, das im ganzen Reich begangen wurde. Selbst auf den Wohnbäumen der Halblinge konnte man sich dieser Anordnung nicht entziehen, denn Haraban hätte die Weigerung, dieses Fest gebührend zu begehen, als Zeichen der Untreue betrachtet. Andererseits war es den meisten Halblingen gleichgültig, welcher Vorwand ihnen zum Feiern gegeben wurde.
Der Waldkönig wandte leicht den Kopf. Sein moosartiges Haar quoll unter der Krone aus dunklem Metall hervor, dem manche magische Kräfte nachsagten. Sein Gesicht hatte eine kantige Form und erinnerte an die geschnitzten Bärte der Holzreliefs in den Säulenhallen. Im Lauf der Zeit schien sich der Bart des Waldkönigs verfestigt und in dieselbe holzähnliche Substanz verwandelt zu haben, aus der vermutlich sein gesamter Körper bestand.
Die Augen dieses Wesens, das mit einem Menschen kaum noch etwas gemein hatte, waren erfüllt von einem magisch leuchtenden satten Grün; nichts Weißes war noch darin, und nur, wenn man ganz genau hinsah, konnte man die Pupillen ausmachen. Ein goldverzierter Harnisch bedeckte seine Brust, und er trug Schwert und Zepter als Zeichen seiner immerwährenden Herrschaft.
» Lirandil«, entfuhr es Haraban mit dröhnender Stimme. » Ihr habt Euch Zutritt zu meinem Thronsaal verschafft, ohne darauf zu warten, dass man Euch ruft.«
» Für diese Feinheiten des Protokolls ist keine Zeit«, entgegnete Lirandil drängend.
Der vollkommen zahnlose Mund des Waldkönigs öffnete sich und verzog sich auf groteske Weise. Wahrscheinlich, so ging es Arvan bei diesem Anblick schaudernd durch den Kopf, war dies Harabans Art zu lächeln. » Dass ausgerechnet Ihr das sagt, werter Lirandil, wundert mich.«
» Es ist nur ein weiteres Zeichen für den Ernst der Lage«, erwiderte der Fährtensucher.
» Wie auch immer, Ihr und Euer Gefolge seid willkommen am Hof des Immerwährenden Herrschers. Euch soll es an nichts mangeln.« Harabans Blick senkte sich und richtete sich für einige Augenblicke auf Arvans Füße. » Es ist ja nicht das erste Mal, dass Ihr meinen Hof mit Gefolge aufsucht, das mir nicht ganz standesgemäß erscheint. Doch daran habe ich mich in all den Jahren, die wir uns schon kennen, gewöhnt.«
Lirandil legte Arvan die Hand auf die Schulter. » Ihr habt einen tapferen Recken vor Euch, der sich sein Schwert selbst erkämpfte und mich vor dem sicheren Tod bewahrte, als mir die Schergen Ghools auflauerten.«
Harabans Augen weiteten sich. Dort, wo gewiss früher Augenbrauen gewesen waren, hatte er nur noch ein paar borkenähnliche Wülste, die sich erstaunt hoben. » Wie ist dein Name, Barfüßiger?«
» Ich bin Arvan Aradis, Sohn des Baum-Meisters Gomlo von Gomlos Baum aus dem Stamm von Brado dem Flüchter«, erklärte der Angesprochene in feierlichem Tonfall und straffte stolz seine Schultern.
» Ein Mensch, der unter Halblingen aufwuchs«, sagte der Waldkönig, » den trifft man nicht alle Tage. Aber es macht verständlich, warum er barfuß herumläuft. Der Name Aradis kommt mir bekannt vor. Gab es da nicht einst ein caraboreanisches Handelshaus, dessen Schiffe auch meinen Hafen anliefen?«
Arvan kam
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