Der Sohn der Kellnerin - Heinzelmann, E: Sohn der Kellnerin
Vormittag noch einen Termin bei ihrem Gynäkologen. Gegen fünf traf sie bei Joey ein. Der veranstaltete fast einen Freudentanz, als er Hannah sah. Eiligen Schrittes mit strahlendem Gesicht kam er ihr entgegen, und hob sie hoch, während er sich mit ihr im Kreis drehte, so als hätten sie sich eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. “Na, wie war die Überraschung gestern?”, fragte er neugierig.
Hannah stutzte: “Du hast davon gewusst?”
“Klar doch” sagte er mit dem Stolz eines Eingeweihten, “Alexander kam zu mir und fragte, was sich als kleines Festmenu eignen würde, und da machten wir, Thomy und ich, ihm verschiedene Vorschläge. Tja, und wer bei Thomy in die Schule ging, kann nicht anders als erfolgreich zu sein.” Hannah war amüsiert.
“Es war eine solch tolle Überraschung”, sagte sie, “Alexander hielt mich bis am Nachmittag von zu Hause fern, während Antonia und Claus einen guten Job taten - ja, und irgendwie glaubte ich auch Thomys Handschrift erkannt zu haben.”
Als Joey sie wieder auf festem Boden absetzte, ließ sie ihren Blick zufrieden durch die vertraute Umgebung des Restaurants schweifen. “Weißt du”, stellte sie währenddessen fest, “irgendwie fühle ich mich hier zu Hause”.
Ja, Joeys Restaurant war gemütlich eingerichtet. Die runde Bar-Theke mit den Barhockern, die rundenTische, die teilweise in künstlich geschaffenen Nischen eingebettet waren, vermittelten dem Gast das Gefühl einer ungestörten privaten Atmosphäre. Rechts von der Bar stand ein Piano, auf dem ein Student des Richard-Strauss-Konservatoriums, der sich etwas Geld hinzuverdiente, an manchen Abenden eine angenehm dezente Backgroundmusik spielte. Alles in diesem gemütlichen Restaurant, einschließlich der Beleuchtung und der Dekoration war harmonisch aufeinander abgestimmt.
Es war noch nicht viel los. Drei Tische nur waren bis jetzt besetzt. Links der Bar, saß ein junges verliebtes Pärchen und zwei Tische weiter saßen zwei Herren in dunklen Anzügen. Wahrscheinlich ein geschäftliches Treffen. Ganz hinten saß alleine ein alter Mann, der Hannah unentwegt anschaute. Sie wollte so tun, als bemerkte sie es nicht, drehte sich wieder zu Joey und meinte: “In einer Stunde wird hier wahrscheinlich jeder Tisch besetzt sein”. Joey nickte zufrieden. Ja, das Geschäft lief gut. Es war ein richtiges Bijou und die Qualität der Küche hatte sich schnell herumgesprochen.
Dieser alte Mann in der hintersten Ecke hatte es Hannah angetan. Warum schaute er nur so. ‘Ich werde jetzt einfach mal zu ihm hingehen und fragen, ob er noch einen Wunsch hat’, dachte sie und machte sich in seine Richtung auf. So von der Nähe betrachtet war er eine äußerst eindrückliche Erscheinung. Sein Gesicht war von Falten zerfurcht, sein schneeweißes gut kinnlangesgewelltes Haar, war nach hinten gekämmt. Doch das eindrücklichste an ihm waren die wasserblauen, gütig dreinblickenden Augen, die in diesem furchigen Gesicht wie ein Jungbrunn wirkten. Er war sehr bescheiden, aber dennoch sauber gekleidet. Ein blütenweißes, bis zum Brustbein offenstehendes Hemd im indischen Stil, bildete einen Kontrast zu seiner braunen Haut. Um den Hals trug er ein schwarzes Lederbändchen mit einem Anhänger in der Form des Hakenkreuzes. Hannah erstarrte als sie den Anhänger erblickte. Das passte nicht zu diesem gütigen, weise blickenden Gesicht. Etwas verstört begrüßte sie ihn. Er bemerkte Hannahs Gefühlsregung sofort, und hob mit einer Hand den Anhänger hoch, ohne den Blick von ihr zu lassen. “Das ist eine Svastika, ein buddhistisches Symbol und für mich ein Glücksbringer”, erklärte er ihr in angenehmer sonorer Stimme. Hannah war beeindruckt vom Wohlklang dieser Stimme und sie lauschte gespannt seinen weiteren Erklärungen: “Das Wort Svastika setzt sich im Sanskrit zusammen aus den Silben ‘su-’ was ‘gut’ bedeutet und ‘asti’ ist das Substantiv zum Verb ‘as-’, was ‘sein’ bedeutet. Zusammen genommen bedeutet Svastika ‘das Heilbringende’. Dieses Symbol ist in buddhistischen Ländern auf Brust, Füßen oder Händen von Buddha-Statuen und an Tempeln zu sehen. Es wird als Weitergabe der Buddha-Natur gedeutet. Doch auch anderswo kann man das Symbol entdecken. Wenn du einmal auf die Suchegehst, wirst du es in christlichen Kirchen und Kathedralen, alten Landesflaggen und Familienwappen entdecken”. Hannah stand da, wie angewurzelt. Sie war fasziniert, gebannt von diesem alten Mann mit der schönen Stimme. Er lächelte
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