Der Sohn der Kellnerin - Heinzelmann, E: Sohn der Kellnerin
und sagte weiter: “Ich habe gesehen, dass du beim Anblick des Symbols erschrocken warst. Du glaubtest soeben, darin einzig das Symbol des Nationalsozialismus, das Hakenkreuz, erkannt zu haben, nicht wahr?”, ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er weiter: “Es ist diesem mit einem kleinen Unterschied ähnlich. Doch wenn du genau hinschaust, wirst du erkennen, dass die Stellung meines Kreuzes ein Pluszeichen, während das nationalsozialistische Symbol ein X darstellt. Doch erst das Nazideutschland hat diesem heilsamen Symbol eine unselige Bedeutung gegeben, das die Leute bei dessen Anblick erstarren lässt, als sähen sie ein Schreckensgespenst, was es in diesem Zusammenhang natürlich auch ist”, beendete er seine Ausführungen. Hannah musste sich einen Moment setzen, ihre Beine waren ganz wackelig. Eine noch nie erlebte Anziehungskraft ging von diesem Mann aus. Er lächelte milde und legte sanft eine Hand auf Hannahs Unterarm. Diese Hand wirkte, wie die Augen, im Vergleich zu seinem Gesicht sehr jung. ‘Welch Gegensätzlichkeit in diesem Mann’, dachte sie, ‘jung und alt in einer Person’. Sie glaubte plötzlich, die Energie zu spüren, die von seiner Hand auf sie überströmte.
Joey beobachtete die Szene von der Bar aus, hielt sich aber zurück, denn er wollte nicht stören. Er kannte den Alten, der jeden Menschen ganz selbstverständlich duzte und in seinen Bann zog. Er war schon öfter hier, jedoch bisher noch nie, wenn Hannah Dienst hatte. Joey achtete diesen besonderen Mann, und ahnte genau, was jetzt in Hannah vorging. Er erinnerte sich noch zu gut an das erste Mal, als er ihn traf. Er war gefesselt vom Charisma und der Stimme dieses Mannes.
“Kannst Du mir die Rechnung bringen?”, bat der Alte Hannah schließlich.
“Ja, ich …”, Hannah stockte einen Moment, schaute ihn mit verwirrten Augen an, bewegte sich allmählich rückwärts zum Gehen. “… ich … ich … komme gleich”, stammelte sie, immer noch unter dem Eindruck totaler Verwirrung. Dann entfernte sie sich von seinem Tisch in Richtung Theke. Als Joey Hannah auf sich zukommen sah, wusste er, dass er die Rechnung fertig stellen konnte. Bis sie bei ihm war, hatte er sie schon bereit und gab sie ihr. Sie beeilte sich, wieder zum Tisch des merkwürdigen Gastes zu kommen, legte ihm die Rechnung hin und nannte gleichzeitig den Betrag. Er zückte einen Beutel und zählte das Geld heraus. “Der Rest ist für dich”, sagte er, hielt dann einen Moment inne, und fragte schließlich mit dem Kopf auf ihren Bauch deutend: “Hat er schon einen Namen?” “Simon”, antwortete Hannah verdattert darüber, dass der Alte,ohne sie zu kennen, sie so ganz selbstverständlich duzte und von ‘ihm’ sprach. Er stand auf. Er war viel größer als Hannah ihn sich vorgestellt hatte. Sein weißes Hemd hing lässig über seine beige Leinenhose. Er reichte ihr die Hand, schaute sie ruhig an, während sein Blick plötzlich ernster wurde. Während er die andere Hand oben auflegte, sagte er in väterlichem Ton: “Ich wünsche dir alles Gute. Du brauchst viel Kraft mein Kind.” Wieder spürte Hannah die Energie, die von ihm ausging. Er löste sich von ihr, strich ihr kurz über die rechte Wange und verließ das Restaurant. Hannah blieb verwirrt zurück.
Was sagte er da? ‘Du brauchst viel Kraft mein Kind’, hallten in ihrem Kopf seine letzten Worte nach. Langsam ging sie auf Joey zu: “Kennst Du diesen Mann?”
“Wir nennen ihn Nathan”, gab er zur Antwort.
“Nathan”, wiederholte sie wie geistesabwesend, “Nathan”, als wollte sie sich diesen Namen fest einprägen. ‘Ja’, dachte sie, ‘das passte zu ihm. Nathan der Weise.’
Joey sah Hannahs Verwirrtheit, doch er erkundigte sich nicht nach dem Erlebten. Es war wohl ihre ganz persönliche Sache, und wenn sie darüber sprechen wollte, würde sie es von sich aus tun.
Allmählich füllte sich das Lokal und Hannah bekam gleich eine Menge zu tun. Sie war dankbar, dass sie dadurch Ablenkung bekam. Bis zehn Uhr war sie pausenlos am Rennen und nun spürte sie eine bleierneSchwere. Die Küche war nun geschlossen und es hielten sich nur noch trinkende Gäste im Lokal auf. Als sie von einem zahlenden Gast zurückkam, sah sie Alexander an der Theke stehen. Er holte sie jetzt abends nach Feierabend immer ab. Es war zwar nicht weit bis zu ihrem Zuhause, doch wollte er nicht mehr, dass sie so spät alleine auf der Straße war. Sie beide wechselten noch ein paar Takte mit Joey und Thomy, der mittlerweile
Weitere Kostenlose Bücher