Der Sohn der Kellnerin - Heinzelmann, E: Sohn der Kellnerin
des Gratulierens, immer wieder ein Teufelswerk.
Dennoch kam er nicht umhin, die Vorzüge der Technik lobend zu erwähnen. “Unglaublich, was man heutzutage alles so machen kann”, sagte er staunend, “da sind sogar Distanzen zwischen Neuseeland und Deutschland rein gar nichts mehr.”
Er war schon ein guter, der Onkel. Er war das richtige Gegenstück zu Tante Sophia und beide passten sie zusammen wie Topf und Deckel.
Hannahs runder Geburtstag wurde, wie einst ihr achtundzwanzigster, in Joey’s Treff großartig gefeiert.
Schöne, aber auch melancholische Gefühle kamen auf, als die Erinnerungen an die einstige Zeit ihre Bilder vor Hannahs geistigem Auge vorbeiziehen ließen. Hannah war überglücklich. Ihr fehlte fast nichts mehr zum Glück. Aber eben nur fast, denn über allem Glück, das sie empfand, schwebte die Sorge um Alexander. Sie konnte es sich mit Worten nicht richtig erklären: Alexander war erfolgreich, war ein Star, war beliebt, stand in diesem jungen Alter längst auf eigenen Füßen, und nicht nur das, sie wohnten in seinem Haus. Eigentlich alles, was eine Mutter glücklich und stolz machen müsste. Sie wagte es auch nicht, mit jemandem darüber zu sprechen. Man würde sie als hysterisch abtun und kritisieren. Sie solle doch zufrieden sein, denn welche Eltern hätten das Glück, einen solchen Sohn zu haben.
Nach Hannahs Geburtstag ging es auch nicht mehr lange, wurde schon wieder die Weihnachtszeit eingeläutet. Wie die Zeit verging! Und wieder, wie in den vergangenen Jahren, war Alexander an Weihnachten nicht zu Hause. Sie fragte sich, ob ihm die Familie oder besser das Familienleben nicht fehlte. Auf der anderen Seite aber war er, wenn er mal zu Hause war, ebenso meist unsichtbar.
Die Antwort auf die gedanklich formulierte Frage, ob ihm das Familienleben denn nicht fehle, bekam sie kurz nach Neujahr.
“Mama, ich werde mir in München eine Wohnung kaufen”, verkündete er ohne Vorwarnung. Hannah schluckte.
“Aber, wie soll das denn gehen? Du brauchst doch deinen Flügel, deine ganzen Instrumente. Da braucht’s doch ein Haus. In einer kleinen Wohnung hat das alles doch gar keinen Platz!”, stellte Hannah dieses Vorhaben in Frage.
“Wer sagt denn, dass es eine kleine Wohnung sein wird?”, erstickte er die vorgebrachten Zweifel im Keim.
“Du hast dich schon darum bemüht?”, folgerte sie fragend.
“Bemüht und gefunden, Mama”, berichtete er.
Hannah erfuhr, dass er die Familie schon auf Anfang März verlassen wollte. Diese Vorstellung tat ihr im Herzen weh. Doch, war das nicht das Los jeder Mutter, wenn die Kinder flügge wurden? Hatte nicht jede Mutter insgeheim Angst vor dem Tag, wenn das Kind eröffnen würde, dass es eigene Wege gehen will und die Koffer packt? Sie wusste, dass jede Mutter mit diesem Gefühl fertig werden musste. Dass jede Mutter loslassen musste, und je besser es gelang, desto reibungsloser ging der Loslöseprozess vonstatten, ganz besonders für das Kind, und desto besser war auch die spätere Beziehung zu den erwachsenen Kindern. Doch der Zeitpunkt würde wohl immer zu früh sein.
“Was für eine wunderschöne Wohnung”, staunte Hannah, als sie sie Anfang März direkt nach dem Einzug zum ersten Mal zu sehen bekam, “du hast Geschmack mein Junge.”
Alexander wollte die Wohnung erst vorführen, wenn sie eingerichtet und vorzeigefähig war. Sie saßen noch eine ganze Weile zusammen und unterhielten sich. Es war so schön, wenn sich Alexander Zeit für Gespräche nahm. Wer wusste schon, wann es diese schönen Momente das nächste Mal wieder gab, jetzt da sie nicht mehr im gleichen Haus lebten. Sie waren heute schon selten genug. Ute lief neugierig im Wohnzimmer umher und wollte alles inspizieren. Dann versuchte sie tapsig auf den Klavierstuhl zu krabbeln, bis Alexander zu ihr kam, sie hochnahm und sich mit ihr an den Flügel setzte. Wie einst er selbst, drückte nun seine kleine Schwester ganz sachte die Tasten und er spielte dazu eine sanfte Phantasiemelodie. Hannah hatte Tränen in den Augen, denn plötzlich sah sie vor sich das Bild von damals, als Alexander auf dem Schoß von Carsten saß und sie zusammen spielten. Wie die Zeit verging und wie sich alles wiederholte!
Am Abend, nachdem Armin die Apotheke geschlossen hatte, holte er beide ab.
“Hallo mein Junge”, begrüßte Armin Alexander freundschaftlich, während er seinen Blick durchs Wohnzimmer schweifen ließ, “du willst also endgültig ernstmachen und dein heimisches Nest verlassen.”
Weitere Kostenlose Bücher