Der Sohn der Kellnerin - Heinzelmann, E: Sohn der Kellnerin
Limousine mit dunkel getönten Scheiben, einsteigen wollte. Timo rief laut Alexanders Namen.
Alexander, der abrupt in der Bewegung innehielt, drehte sich um und suchte die Menge ab und erblickte den wild gestikulierenden Timo. Seine Begleiter wollten losstürmen, um den Fremden zurückzuhalten, doch Alexander hielt eine Hand hoch, um ihnen zu bedeuten, stehenzubleiben.
Einen Moment überlegte er, woher ihm dieses Gesicht so vertraut vorkam. Er stellte sich neben das Auto und wartete. Als der inzwischen 27jährige Timo endlich vor ihm stand, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.
“Timo?”, sagte er in fragendem Ton.
Timo nickte und lächelte betreten, denn er wusste ja nicht, wie Alexander bei seinem Anblick reagieren würde.
Immerhin war er damals bei seiner Entführung beteiligt.
Doch zog es ihn seither immer wieder in die Nähe dieses mittlerweile fast erwachsenen Jungen. Er war von ihm und seiner Musik fasziniert … und … er hatte ein Schuldgefühl, das ihn nie losließ.
Alexander ging einen Schritt auf Timo zu und er lächelte. Timo fiel ein Stein vom Herzen und lächelte nun etwas freier zurück. Und dann passierte etwasUngewöhnliches. Zum Erstaunen aller Umstehender umarmten sich beide für einen Moment, als wären sie die besten Freunde. Freunde, die sich seit einer Ewigkeit nicht mehr sahen. Dass Alexander jemanden in aller Öffentlichkeit umarmte war ein höchst ungewohntes Bild.
Alexander lud Timo ein, in sein Auto einzusteigen und ein Stück mit ihm zusammen zu fahren. Sie saßen beide im Fond des Autos und Alexander erfuhr Timos Geschichte seit dem bewegenden Ereignis, als er seinem Bruder Micky in den Oberschenkel schoss.
Sie wurden beide verurteilt. Micky, der acht Jahre aufgebrummt bekam, sitzt noch immer in der Vollzugsanstalt München. Timo hatte Glück, denn aufgrund der Tatsache, dass er von seinem Bruder unter Druck gesetzt wurde und schließlich wegen seines kooperativen Verhaltens der Polizei gegenüber, erhielt er zwei Jahre auf Bewährung.
Er, der bis dahin noch nie eine Ausbildung genossen hatte, begann damals im Universitätsklinikum München eine Ausbildung zum Krankenpfleger.
Er erklärte Alexander: “Ich wollte durch den Dienst am Nächsten wieder etwas gut machen. Ich wusste ja nicht, ob ich je die Gelegenheit finden würde, mich bei dir zu entschuldigen.” Dann fügte er lächelnd hinzu, “so etwas schriftlich zu machen … also du weißt schon, michschriftlich zu entschuldigen … nun das ist nicht so mein Ding, zumal ich Legastheniker bin.”
Alexander lächelte. Er war von Timos Offenbarung sehr gerührt: “Timo, das ist dir längst vergeben. Um ehrlich zu sein, ich habe es dir nie nachgetragen. Ich habe schon damals gesehen, dass du ein ganz patenter Kerl bist.”
Das tat Timo gut. Solche Worte, aus dem Munde eines solch bedeutenden Meisters zu hören. Ein Meister, vor dem er große Achtung hatte.
Dann fügte Alexander noch hinzu: “Weißt du, ich denke, wenn dein Bruder bessere Ausgangsbedingungen gehabt hätte, wäre er vielleicht auch ein anderer geworden.”
“Hm”, sagte Timo nachdenklich und wiegte mit dem Kopf, “Dennoch, ich habe Angst vor ihm. Nächstes Jahr wird er entlassen.”
*
Zusammen mit Alexander ging Armin zu Hannah ins Krankenhaus, um sie abzuholen. Sie hatte in den Morgenstunden des 29. März 2007 einem Mädchen, das sie Ute nannten, das Leben geschenkt. Armin war bei der Geburt dabei und wurde auch gleich mit kleinen Handgriffen eingespannt.
“Es war ein unbeschreibliches Erlebnis”, erzählte er Alexander, als er wieder zu Hause war. “Den Moment, als das Kind mit einer letzten Wehe in die helle Weltdes Kreissaales befördert wurde, bleibt ein für mich unvergessliches Ereignis”, versuchte er seine überwältigten Gefühle zu beschreiben. “Ich war mächtig stolz, als ich das kleine Mädchen in meinen Armen hielt. Unsere gemeinsame Tochter. Sie sieht mit ihren dichten schwarzen Haaren so niedlich aus. Was für ein Gefühl!”
Hannah wartete schon auf die beiden. Sie und das Kind waren aufbruchbereit und jetzt freute sie sich auf zu Hause. Alexander schaute seine Schwester zärtlich an: “Wie schön sie ist”, staunte er. “Na du kleines Mädchen, jetzt wird’s ernst”, sagte er liebevoll zu dem Bündel in seinen Armen und zu seiner Mama: “Ute, ein schöner Name, gefällt mir.”
Zu Hause angekommen fand Hannah neben der Wiege eine zusammengerollte Partitur, die mit einem roten Geschenkband zusammengehalten wurde.
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