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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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sagte, und ich tat es ohne Angst, denn irgendwie verstand ich, dass an diesem Ort keine Gefahr drohte. Ich atmete denselben Atem; ich spürte seinen Geist, der so unmerklich und geheimnisvoll wie ein Schatten in meinen glitt und mich festhielt. Aber nicht als Gefangene, denn unter dem Schutz seiner Gedanken war ich immer noch ich selbst, und gleichzeitig war ich der junge Finbar, der in der Kälte einer nebligen Morgendämmerung am See stand und dem Bösen ins Gesicht sah, und ich spürte, wie ich mich veränderte, weiter veränderte, so dass mein Geist nur das wusste, was ein wildes Tier begreift: Kälte, Hunger, Gefahr. Essen, Schlafen. Die Eier im Nest, die Gefährtin mit ihrem anmutig gebogenen Hals und den schimmernden Federn. Geburt. Tod. Verlust. Die Kälte, das Wasser, der Schrecken der Veränderung. So war es für uns. So ist es für mich. Dann ließ er mich sanft gehen, und ich war schaudernd den Tränen nahe.
    »Ich verstehe das nicht«, flüsterte ich. »Ich verstehe nicht, warum ich hergebracht wurde. Warum hast du dich auf diese Weise enthüllt? Ich bin kein Druide.«
    Vielleicht nicht. Aber du hast Gaben. Mächtige und gefährliche Gaben, die meinen ganz ähnlich sind. Der Blick. Die heilende Kraft des Geistes, der du dich noch kaum bedient hast. Ich sehe dich in Gefahr; ich sehe dich als ein Glied in der Kette, eines, von dem viel abhängt. Du musst lernen, deine Gaben zu zügeln, oder sie werden nicht mehr als eine Last sein.
    »Sie zügeln? Meine Visionen kommen ungebeten. Ich weiß nicht, ob sie wahr oder falsch sind, Vergangenheit oder Zukunft.«
    Diesmal antwortete er laut. Seine Stimme war heiser und zögernd, als hätte er sie lange nicht benutzt. »Sie können ein Rätsel sein. Sie können in die Irre führen. Manchmal sind sie auch erschreckend klar. Hier an diesem schützenden Ort ist es leichter, sie zu beherrschen. Außerhalb dieses Hains dringen die Schatten dichter auf uns ein. Lass es mich dir zeigen. Was ist es, das du so tief in deinem Herzen trägst? Was ist es, was du dringender als alles sehen möchtest? Schau ins Wasser! Beruhige deinen Geist.«
    Unwillkürlich sah ich mich um, schaute nach, ob Conor uns immer noch beobachtete. Keine Spur von ihm war zu sehen. Dann zwang ich mich zu vollkommener Ruhe. Ich atmete langsam und tief, spürte, wie sich Zeit und Ort um mich her veränderten. Licht flackerte auf, Farben im Wasser und ein Bild wurde stetig klarer. Dann veränderte es sich wieder. Es war dunkel. Dunkel, bis auf eine kleine Laterne, die im Schutz seltsamer Bäume brannte. Es waren zwei Männer dort, einer schlief in eine Decke gewickelt, das geflochtene Haar fiel ihm ins ebenholzschwarze Gesicht. Vielleicht hatte er versucht, wach zu bleiben und in dieser finsteren Zeit für seinen Freund da zu sein, aber die Müdigkeit des Kampfes hatte ihn schließlich überwältigt. Der andere Mann saß im Schneidersitz da, ein langes Messer in einer Hand, einen Stein in der anderen, und er schärfte das Messer mit entschlossenen, gleichmäßigen Strichen, eins, zwei, drei. Er hatte den Blick auf die stetige Bewegung der Waffe gerichtet, sah sie aber nicht. Manchmal schaute er auf, als hoffte er, erstes Licht am Himmel zu sehen, und begann dann resigniert wieder mit seiner Tätigkeit. Die Klinge dieses Messers wäre direkt in einen Feind eingedrungen, ob er nun eine Rüstung trug oder nicht.
    Unwillkürlich streckte ich die Hand aus und gab ein leises Geräusch von mir, und in diesem Augenblick blickte der Mann im Wasser wieder auf und sah mich direkt an. Es traf mich bis ins Herz. Verbitterung, Ablehnung, Sehnsucht; ich hätte nicht sagen können, was in diesem Blick am deutlichsten war. Er riss erschrocken die Augen auf und legte langsam, sehr langsam, das Messer hin. Er hob die Hand, streckte die mit Mustern überzogenen Finger nach mir aus, und ich streckte meine eigene Hand nur ein wenig weiter aus, nur ein wenig weiter …
    Berühre die Wasseroberfläche nicht.
    Aber genau das hatte ich getan, und nun entstanden Wellen, und Brans Abbild war verschwunden. Ich merkte erst jetzt, dass ich den Atem angehalten hatte, und setzte mich mit Tränen in den Augen wieder hin.
    »Du musst lernen, während du hier bist, Liadan. Du musst schnell lernen und deine Fähigkeiten üben. Schon bald wirst du zumindest für eine Weile nicht im Stande sein, hier hinaufzusteigen.«
    Ich schnappte erschrocken nach Luft und vergaß beinahe, den Blick gesenkt zu halten. Gab es denn keine Geheimnisse

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