Der Sohn der Schatten
und ordentlich. Ich hatte eine grün gekleidete Wache am Fuß der Treppe und eine im oberen Flur bemerkt.
»Ihr möchtet euch vielleicht waschen und dann bis zum Abendessen ausruhen«, sagte Aisling, die in der Tür wartete. »Ich habe die Diener angewiesen, euch warmes Wasser aufs Zimmer zu bringen. Das mit den Wachen tut mir Leid. Eamonn hat darauf bestanden.«
Ich dankte ihr, und dann ging sie. Sean stand immer noch unten im Hof und sprach mit einem unserer eigenen Männer. Er würde nicht lange bleiben, denn er war in Liams Abwesenheit für Sevenwaters verantwortlich und musste nach Hause zurückkehren, um sich um seine Pflichten zu kümmern. Mein Vater hätte das ebenfalls tun können, aber obwohl die Menschen den Großen mochten und ihm vertrauten, hatten sie dennoch nicht ganz vergessen, dass er Brite war, und so hätte er nie in Liams Fußstapfen treten können, selbst wenn er es gewollt hätte. In gewisser Weise war das eine Verschwendung, denn wenn es je einen Mann gegeben hatte, der zum Anführer geboren war, dann war es Hugh von Harrowfield. Aber er hatte seinen Weg selbst gewählt.
Sobald die Tür geschlossen war, zog ich mein Oberkleid aus und die Stiefel. Ich goss ein wenig Wasser in die Schale und wusch mir Gesicht, Arme und Hände, froh, einen Teil des Staubs und Schweißes der Reise abwaschen zu können. Ich suchte in meinem Gepäck nach Kamm und Spiegel.
»Du bist dran«, sagte ich, setzte mich aufs Bett und begann, meine windzerzausten Locken zu kämmen. Aber meine Schwester hatte nichts weiter getan, als ihre Reitstiefel auszuziehen. Sie legte sich vollständig angekleidet aufs Bett und schloss die Augen.
»Du solltest dir zumindest das Gesicht waschen«, sagte ich, »und dann kann ich dir das Haar kämmen. Und du wirst viel besser schlafen, wenn du dieses Kleid ausziehst. Niamh?«
»Schlafen?«, sagte sie tonlos und öffnete nicht einmal die Augen. »Wer hat etwas von Schlafen gesagt?«
Mein Haar war eine Katastrophe. Ich konnte froh sein, wenn ich bis zum Abendessen all die zerzausten Stellen ausgekämmt hatte. Ich zog den Knochenkamm hindurch, Strähne um Strähne, begann an den Spitzen und arbeitete mich unter Schmerzen bis zu den Wurzeln vor. Es gab einiges, was für rasierte Köpfe sprach, wenn man im Freien lebte. Niamh lag reglos auf dem Rücken und atmete langsam, aber sie schlief nicht. Sie hatte die Fäuste geballt, ihr Körper war angespannt.
»Warum sagst du es mir nicht?«, fragte ich leise. »Ich bin deine Schwester, Niamh, ich sehe doch, dass etwas nicht in Ordnung ist, etwas Schlimmeres als nur … als nur verheiratet zu sein und dein Zuhause zu verlassen. Es würde vielleicht helfen, wenn du darüber sprichst.«
Aber sie bewegte sich nur ein wenig von mir weg. Ich kämmte mir weiter das Haar. Geräusche drangen aus dem Hof herauf, die Bewegung von Pferden, Männer, die sich etwas zuriefen, Axtschläge auf Holz. Ein schrecklicher Verdacht entstand in meinem Kopf, einer, dem ich kaum nachgehen konnte. Ich konnte sie nicht fragen. Ich schloss die Augen, saß da und stellte mir vor, meine Schwester zu sein und still in dem dunklen Steinzimmer zu liegen. Ich spürte, wie weich die Decke neben mir war, wie müde mein Körper vom Reiten, das schwere helle Haar um meinen Kopf unter dem Schleier. Ich ließ mich in der Stille des Zimmers treiben. Ich wurde zu meiner Schwester. Ich spürte, wie allein ich war, jetzt, da ich nicht mehr Teil von Sevenwaters sein konnte, da meine Mutter, mein Vater und mein Onkel, ja sogar meine Schwester und mein Bruder mich weggeworfen hatten wie ein Stück Abfall. Ich war wertlos. Warum sonst hatte Ciarán, der gesagt hatte, er würde mich ewig lieben, mich verlassen? Was Fionn sagte, war richtig – ich war eine vollständige Enttäuschung, unfähig als Ehefrau und als Geliebte. Unhöflich zu Gästen, hatte er gesagt. Unfähig im Haus. Langweilig im Bett trotz all seiner Bemühungen, mich zu lehren. Eine Versagerin. Es war gut, dass ich zumindest war, wer ich war, oder die Heirat wäre vollkommen sinnlos gewesen. Zumindest, sagte mein Mann, war da noch die Allianz. Ich spürte den Schmerz am ganzen Körper, der es so schwierig machte zu reiten, die Wunden, die ich nicht zeigen durfte, oder es würde noch schlimmer werden, alles würde schlimmer werden. Ich durfte ihnen nicht zeigen, dass ich selbst dabei versagt hatte. Wenn ich es nicht zeigte, dann würde das die schlimmen Dinge irgendwie weniger wirklich werden lassen. Wenn ich nichts
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