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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Sevenwaters sind. Es gibt zum Beispiel einen, den sie Zaunkönig nennen. Das ist der kleinste und ein sehr magischer Vogel. Er kommt in vielen Geschichten vor. Du wirst Eulen sehen und Raben und Lerchen, die so schön singen, wenn sie am Morgen aufsteigen, dass man weinen möchte. Du wirst den großen Adler sehen, der über dem Wald segelt, und die Schwäne, die auf dem See landen, wenn wir endlich zu Hause sind. Als ich so über das Ödland schaute, dachte ich daran, wie zerbrechlich Niamh war. Selbst wenn ich sie unentdeckt hier herunterbringen könnte, selbst wenn sie sich nicht sträuben würde, was dann? Ich wusste nicht, wie wir durch den Sumpf kommen sollten. Vielleicht mit einem Boot. Aber es gab kein Boot, und die Flecken offenen Wassers waren nicht sehr zahlreich und in großem Abstand zueinander. Und wir konnten nicht hoffen, am Tag zu fliehen, denn man würde uns sofort entdecken und zurückbringen. Selbst jetzt konnte ich nicht recht verstehen, warum die Wachen mich noch nicht entdeckt hatten. Sie patrouillierten weiterhin über mir hin und her. Nach einer Weile ging ich wieder nach oben, den ganzen Weg, und kam außer Atem und mit schmerzenden Beinen in unserem Zimmer an und wusste immer noch keine Antwort. Ich schloss die Tür, versteckte den Schlüssel und zog den Wandbehang wieder vor die Stelle. Niamh schlief weiter.
    Am nächsten Morgen ging ich wieder nach unten. Es war sehr früh. Kalter Nebel überzog das Marschland, und Wolken verschleierten die Morgensonne. Verkrüppelte Büsche stachen mit unregelmäßigen Fingern durch den Dunstmantel, und es waren seltsame, knarzende Geräusche im Sumpf zu hören, leise Geräusche, die nicht von Fröschen kamen.
    Ich schauderte, als ich da zwischen den Felsen saß, und zog mein Wolltuch fester um die Schultern. Ich hatte ein Rätsel zu lösen und kannte einige Spuren, aber sosehr ich es auch versuchte, ich konnte sie nicht zusammenbringen und verstehen. Die Alten hatten mich hierher geführt. Es gab tatsächlich einen Weg nach draußen. Und ich wusste, welche Tageszeit die sicherste sein würde. An diesem Morgen konnte ich keine drei Schritte über die Marsch sehen, bevor der wirbelnde Nebel alles bis auf die paar Büschel größerer Pflanzen verbarg, die irgendwie an diesem Ort überlebt hatten. Zu einer solchen Tageszeit wäre es so gut wie unmöglich, uns zu verfolgen. Aber wie konnten wir es ohne einen Führer, der sich auskannte, auch nur versuchen? Es allein zu wagen wäre wirklich dumm gewesen. Wären die Dinge anders gewesen, hätte ich die Gefahr um meiner Schwester willen gerne auf mich genommen. Ich hätte sie an der Hand gefasst und wäre mit ihr über den Sumpf gegangen und hätte mich darauf verlassen, dass die Alten uns sicher führten, hätte gehofft, dass wir Zuflucht finden konnten, bevor unsere Männer uns verfolgten. Aber nicht jetzt. Ich hätte mein eigenes Leben und das von Niamh aufs Spiel gesetzt. Aber nicht das meines Sohnes.
    ***
    Seltsam, wie sich der Schritt der Zeit manchmal zu verändern scheint. Nun rasten die Tage geradezu vorüber, und bei all ihrem blinden Vertrauen in meine Fähigkeiten, die Dinge in Ordnung zu bringen, wurde Niamh wieder unruhiger, murmelte am Tag vor sich hin, wurde nachts abrupt wach, zitternd und weinend von einem Albtraum, über den sie nicht sprechen wollte. Und dann, als der Mond rasch zunahm, erhielt Aisling eine Botschaft. Als wir über einem Abendessen von Lammbraten in Rosmarinsoße saßen, gab sie sie weiter.
    »Gute Nachrichten«, erklärte sie vergnügt. »Ich habe von Eamonn gehört; heute kam ein Bote. Sie haben Tara hinter sich gelassen und lagern nun in der Nähe von Knowth, wo sie sich mit den Häuptlingen dieser Gegend besprechen. Sie werden wieder in Sevenwaters Halt machen und sollten in vier Tagen hier sein.«
    Niamh wurde blass. Das war ein Schlag, und ich rang um angemessene Worte.
    »Du wirst froh sein, Eamonn wieder zu sehen.« Das zumindest entsprach der Wahrheit.
    »Bestimmt«, gab Aisling zu. »Ich kann nicht behaupten, dass es ohne ihn einfach war. Wir haben hier selbstverständlich verlässliche und fähige Leute, aber mein Bruder nimmt die Dinge sehr genau, und daher muss ich sie gut überwachen. Außerdem mache ich mir Sorgen um Eamonn. Er war … er war in diesen Tagen, bevor sie aufgebrochen sind, nicht er selbst. Ich hoffe, dass es ihm inzwischen besser geht.«
    Darauf fand ich keine Antwort, also schwieg ich. Aber Niamhs Worte brachen aus ihr heraus wie sorglose

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