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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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werde weiterziehen und nie zurückschauen.
    Ich spüre, wie mir Tränen über die Wangen laufen und das Betttuch unter meinem und Brans Kopf feucht wird. Halte fest, halte fest. Konnte er die Stimme meines Geistes durch all die Schatten hören, die ihn bedrängten? Ich bin hier neben dir, ich halte dich im Arm. Wir brauchen dich hier, Bran. Komm zu uns zurück. Dieser finstere Traum ist vorüber.
    Und schwach, so schwach, glaubte ich, eine Antwort zu spüren. Einen Hauch, einen Gedankenfetzen.
     … Liadan … geh nicht …
    Dann flammte plötzlich Licht auf, draußen bei dem niedergebrannten Feuer, Schritte waren zu hören, und Bran war weg, seine innere Stimme abrupt zum Schweigen gekommen, die zögernde Verbindung sofort abgerissen. Ich sprang wütend auf und taumelte aus dem Unterschlupf, denn ich hatte nicht begriffen, wie sehr meine Anstrengungen mich erschöpft hatten, wie lange ich dort reglos gesessen hatte. Es musste tief in der Nacht sein. Wie konnten sie es wagen, uns zu stören? Ich hatte strenge Anweisungen gegeben. Wie konnten sie das tun?
    »Ich habe es dir doch gesagt!«, fauchte ich, als Möwe auf mich zukam. »Ich habe euch gesagt, ihr solltet heute Nacht nicht herkommen. Was machen die Männer da?«
    »Tut mir Leid«, sagte Möwe bedauernd. In seinem Tonfall lag etwas, das mich auf mehr warten ließ. »Wir dachten, mit dieser Nachricht sollten wir dich trotz aller Befehle stören.«
    Drunten bei den Resten des kleinen Feuers standen vier Männer. Schlange war dort, und Spinne – das konnte ich an den langen, dünnen Beinen und den ungelenken Gesten erkennen – und außerdem der breitschultrige Otter. Bei ihnen stand ein hoch gewachsener Mann mit Haar so rot wie ein Sonnenuntergang im Herbst. Der Mann drehte sich um, als ich auf die vier zuging, und ich erkannte meinen Vater.
    Ich rannte zu ihm. Er umarmte mich, und ich weinte sein Hemd nass. Die anderen Männer sahen schweigend zu, bis Möwe schließlich sagte: »Wir können jetzt gehen, wenn du willst.«
    »Das wäre vielleicht das Beste«, schniefte ich. »Ich … ich bin euch sehr dankbar, dass ihr meinen Auftrag so schnell und erfolgreich ausgeführt habt. Ich hätte nie gedacht …«
    »War gar nicht so schwer«, knurrte Otter. »Iubdan hier war schon auf dem Rückweg. Wir haben ihm aufgelauert, das ist alles. Er hat eine gute Hand mit dem Stock, dein Vater, das muss ich sagen.« Vorsichtig rieb er sich den Hinterkopf.
    »Ich muss mit dir unter vier Augen sprechen, Liadan«, sagte mein Vater. »Du weißt wohl schon, dass Liam tot ist. Wir müssen morgen Früh nach Sevenwaters zurückkehren.«
    »Was meint Ihr mit ›wir‹?«, wollte Schlange unvorsichtigerweise wissen.
    »Liadan kann nicht mitkommen«, erklärte Möwe entschlossen. »Wir brauchen sie hier.«
    »Bei allem Respekt«, sagte mein Vater mit jener leisen Stimme, die viele zu fürchten gelernt hatten. »Diese Entscheidung steht allein meiner Tochter und mir zu. Ich hoffe, ihr werdet uns die Möglichkeit geben, kurze Zeit miteinander zu sprechen.«
    »Der Hauptmann stirbt«, sagte Schlange und betrachtete meinen Vater mit halb zugekniffenen Augen, vielleicht um sein Alter gegen seine Größe abzumessen. »Er braucht sie. Sie muss hier bleiben.«
    Ich trat zwischen sie und packte beide am Ärmel. »Genug«, erklärte ich so bestimmt ich konnte. »Mein Vater muss mir jetzt helfen. Was den Rest angeht – darüber sprechen wir morgen Früh. Und jetzt geht.«
    »Bist du sicher?«, fragte Schlange leise.
    »Ihr habt Liadan gehört«, sagte Möwe. »Bewegt euch. Tut, was sie sagt.«
    Einen Augenblick später war ich mit meinem Vater allein.
    »Nun«, sagte Iubdan, setzte sich auf die Steine und streckte die Beine vor sich aus. »Ich hatte nicht erwartet, dich hier zu finden. Was soll ich nur mit dir machen, Liadan? Du scheinst Geschmack daran zu finden, gegen Regeln zu verstoßen. Verstehst du eigentlich, in welcher Gefahr du hier bist?«
    »Vergiss das für den Augenblick«, erwiderte ich gereizt. »Es gibt eine viel dringendere Angelegenheit, um die ich mich kümmern muss.«
    »Was kann dringender sein als die Notwendigkeit, dass wir nach Sevenwaters zurückkehren, nachdem Liam tot ist und Sean dort allein und die Nachbarn zweifellos versuchen werden, einen Vorteil daraus zu ziehen? Wir sollten dort sein, nicht hier bei diesem Abschaum.«
    »Ich weiß, dass du nach Hause gehen musst«, sagte ich leise. »Sean braucht dich mehr, als ihm selbst klar ist. Er steht einer großen

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