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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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dem Jahr, als Margerys Sohn drei Jahre alt war und sie mit Freunden zur Winterkirmes nach Elvington reisten.«
    Ich lauschte seiner leisen, gemessenen Stimme. Draußen war Möwe zurückgekehrt, um am Feuer Wache zu halten, eine hoch gewachsene, dunkle Gestalt in der tieferen Schwärze der mondlosen Nacht. Hinter dem Lichtkreis sammelten sich Schatten unter den hohen Buchen, zwischen den uralten Steinen und auf der anderen Seite des dunklen Teiches. Irgendwo da draußen wartete die Verhüllte lautlos und reglos, als wäre sie selbst nicht mehr als ein Schatten.
    »Du weißt bereits«, sagte mein Vater, »wie mein Freund und Verwandter John in meinem Dienst getötet wurde. Er wurde von einer Steinlawine zermalmt, als er deine Mutter bewachte. Ich hatte ihm diesen Auftrag gegeben, aber der Steinschlag war auf Richard von Northwoods Befehl ausgelöst worden. Margery nahm den Verlust ihres Mannes sehr schwer. Sie waren einander sehr ergeben gewesen, und ihren Mann zu verlieren, während ihr Sohn noch so klein war, war wirklich grausam. Margery zog sich beinahe vollkommen zurück, und nur der kleine Johnny gab ihr die Kraft weiterzumachen. In ihm sah sie die Zukunft, die John versagt geblieben war, in ihm sah sie ihren eigenen Lebenssinn.
    Ihr Kind war der Mittelpunkt all ihrer Aufmerksamkeit, vor allem, solange die Wunde der Trauer noch frisch war. Wie du weißt, habe ich Harrowfield kaum ein Jahr nach Johns Tod verlassen, während Margery noch trauerte. Mit der Zeit überredeten ihre Freunde sie, dass es gut wäre, wieder ein wenig Anteil an der Welt zu nehmen. Also reiste sie im Winter, als Johnny drei Jahre alt war, mit einer kleinen Gruppe von Freunden von Harrowfield nach Elvington, um dort den Julmarkt zu besuchen. Es war kein sonderlich langer Ritt. Die Strecke kann leicht innerhalb eines Tages zurückgelegt werden, oder auch langsamer, wenn man übernachtet. Das haben sie getan, da das Kind bei ihnen war und leicht müde wurde.
    Hier fängt nun die Geschichte an, unklar zu werden. Mein Bruder sagte mir, die Gruppe sei irgendwo in den Hügeln oberhalb von Elvington überfallen worden. Wer diese Angreifer waren und was sie wollten, lässt sich nicht mehr herausfinden. Vielleicht waren es piktische Stämme von der Grenze, die eigentlich Schafe stehlen wollten, und als eine Gruppe gut gekleideter Leute vorbeikam, hielten sie es für eine gute Gelegenheit, sich auf andere Art zu bereichern. Später an diesem Tag fand ein Hirte die Leichen der Reisenden nahe dem Weg, nahe einer vereinzelten Hütte; alle Erwachsenen aus der Gruppe lagen dort tot, aber das Kind war nirgendwo zu sehen. Es war nicht zu finden, obwohl man suchte. Es war seltsam. Niemand konnte so recht glauben, dass die Pikten den Jungen als Sklaven oder Geisel genommen hatten. Er war einfach zu klein, zu schwierig für Männer auf einem Raubzug. Aber nirgendwo fand man eine kleine Leiche. Wilde Hunde, hieß es schließlich. Wilde Hunde hatten ihn irgendwohin weggeschleppt, wie sie es vielleicht auch mit einem Kaninchen oder Kitz tun würden. Es hatte keinen Sinn, weiterzusuchen. Das berichtete man meinem Bruder, und er nahm die Nachricht mit Bedauern entgegen. Es war ein trauriges Ende für Margery, die einmal als junge Braut mit großen Hoffnungen nach Harrowfield gekommen war.
    Das könnte tatsächlich das Ende der Geschichte sein. Sechs Jahre vergingen. Johns und Margerys Namen gingen in die Geschichte von Harrowfield ein wie mein eigener: Lord Hugh, der einmal Herr der Ländereien gewesen war und sie für eine grünäugige Zauberin verlassen hatte, die von der anderen Seite des Wassers gekommen war, eine Hexe, deren Brüder halb Menschen, halb Tiere gewesen waren. Die Jahre gingen vorüber. Mein Bruder heiratete. Die Arbeit auf Harrowfield ging weiter. Edwin beanspruchte Northwoods und begann, seine Stärke wieder aufzubauen.
    Und dann, bei der ersten Gerichtssitzung des neuen Jahres, nicht lange nach Mittwinter, legte man meinem Bruder Simon einen bizarren Fall vor. Zunächst gab es keinen Grund zu glauben, dass es Teil derselben Geschichte war. Ein Mann war in einer isolierten Hütte in den Hügeln in der Nähe von Elvington umgebracht worden, ein grausamer, widerwärtiger Bursche, den alle Nachbarn hassten und fürchteten. Es war wie eine Hinrichtung gewesen, ordentlich ausgeführt mit einer kleinen, präzise platzierten Wunde direkt im Herzen, das Mordwerkzeug ein schmales, gezähntes Messer, von der Art, die für gewöhnlich zum Ausbeinen von

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