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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Hemd da, das mir bis zu den Knien reichen würde, und ich zog es mir über den Kopf und stolperte aus dem Unterstand. Drei Männer saßen an dem frisch entzündeten Feuer: Möwe, Schlange und mein Vater. Sie wandten sich mir zu.
    »Wo … was …«, war alles, was ich hervorbringen konnte.
    Mein Vater begriff rasch, um was es ging, stand auf, nahm meine Hände und sagte tröstend: »Alles ist in Ordnung, Liadan. Ganz ruhig. Er ist wach, und er ist bei Verstand. Du bist bleich wie ein Geist, Tochter. Setz dich ein wenig zu uns.«
    »Ich … ich … wo?«
    »Nicht weit; wir behalten ihn im Auge. Da drunten.« Möwe wies mit dem Kinn zum anderen Ende des Teiches.
    »Er wollte nicht, dass wir dich wecken«, sagte Schlange entschuldigend. »Er ist nicht gerade in guter Stimmung, der Hauptmann, wie wir schon dachten. Aber er ist am Leben. Du hast es geschafft.«
    »Er ist aufgestanden und läuft herum?« Ich konnte es nicht glauben. Er war dem Tod so nahe gewesen. Das war doch sicher ein grausamer Traum! »Er sollte im Bett sein. Wie konntet ihr zulassen …«
    »Hat uns keine Wahl gelassen. Hat uns beinahe den Kopf abgebissen. Aber er hat viel getrunken, und wie gesagt, jemand passt auf ihn auf. Sollte vielleicht jetzt allein sein.«
    »Hübsche Aufmachung«, meinte Möwe und sah mich von oben bis unten an.
    Ich errötete. »Wo sind meine Sachen?«
    »Sie werden irgendwo gewaschen. Wir werden dir frische suchen. Du wirst sie brauchen.«
    »Ich muss gehen … ich muss …«
    »Lieber noch nicht«, sagte Möwe. »Er hat Befehle gegeben. Lass ihn in Ruhe. Vielleicht später.«
    Mein Vater räusperte sich. »Ich habe einige Zeit mit ihm gesprochen, Liadan. Ich habe ihm die Geschichte erzählt, wie du mich gebeten hast. Du solltest vielleicht auf diese Männer hören und ihm ein wenig Zeit lassen.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte ich und ging mit meinen bloßen Füßen und dem kurzen Hemd zum nördlichen Ende des Teiches, wo ein großer Baum vor langer Zeit umgestürzt war. Nun war sein massiver Stamm von Moos überwuchert, und die Risse und Kerben, die kleinen schattigen Gänge, waren zum Versteck für eine Unzahl winziger Geschöpfe geworden.
    Ich hatte es wohl nicht wirklich geglaubt, bis ich ihn sah, wie er auf den Steinen hinter diesem Baum saß, mit dem Rücken zu mir, in einer trotzigen Haltung, die ich sofort erkannte. Er trug seine alten Sachen von undefinierbarer Farbe, und sie hingen an ihm, als hätten sie einem viel größeren Mann gehört. Er hatte den Blick gesenkt, und in den Händen drehte er den kleinen Silberanhänger hin und her. Ich sehnte mich danach, loszurennen, ihn zu umarmen und mir zu versichern, dass dies die Wirklichkeit war und keine falsche Vision. Aber ich bewegte mich vorsichtig, und meine bloßen Füße machten kein Geräusch. Dennoch, dieser Mann war ein Experte bei dem, was er tat. Ohne sich umzudrehen, sprach er und ließ mich innehalten, als ich noch zehn Schritte entfernt war. Seine Stimme war angestrengt beherrscht.
    »Dein Vater bricht heute Früh auf. Du solltest lieber packen und mit ihm gehen. Das wäre das Beste für dich. Das Beste für das Kind. Hier gibt es nichts für dich.«
    Ich brauchte jeden Fetzen Willenskraft, über den ich verfügte, um nicht in Tränen auszubrechen, denn ich wollte ihm nicht die Gelegenheit geben, mir zu sagen, dass eine Frau weinen konnte, wann es ihr passte, nur um zu bekommen, was sie wollte. Es brauchte jedes bisschen Zurückhaltung, das ich aufbringen konnte, nicht zu ihm zu gehen und ihm eine Ohrfeige zu verpassen und ihn darauf hinzuweisen, dass ich vielleicht keine Dankbarkeit erwartete, aber auch nicht, entlassen zu werden wie jemand, der seine Arbeit vollendet hat. Ich hatte viel gelernt, seit ich ihn kennen gelernt hatte. Ich hatte gelernt, dass man solch flüchtiges, schwieriges Wild vorsichtig und geduldig jagen musste.
    »Ich … ich erinnere mich, dass du mir einmal gesagt hast«, meinte ich so ruhig wie möglich, »dass du mich nicht anlügen würdest. Hat mein Vater zufällig ein Versprechen erwähnt, das er mir gegeben hat?«
    Es dauerte einige Zeit, bevor er antwortete.
    »Mach das nicht schwieriger für uns als nötig, Liadan«, sagte er. Und als ich näher kam, konnte ich sehen, wie seine Hände, in denen er immer noch den Anhänger hielt, zitterten.
    »Hat er es gesagt?«
    »Ja.«
    »Also gut. Dann weißt du also, dass ich diese Entscheidung selbst treffen kann und mein Vater sich nicht einmischen wird.«
    »Was für eine

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