Der Sohn der Schatten
Entscheidung soll das denn schon sein? Es ist einfach vernünftig, dass du mich verlässt. Welche Zukunft sollte es geben für … für …«
Nun hatte ich ihn erreicht und stellte mich vor ihn, drei Schritte entfernt. Wenn jemand diesmal die Regeln brach, dann würde nicht ich es sein.
»Sieh mich an, Bran«, sagte ich. »Sieh mich an und sag mir dann, dass du willst, dass ich gehe. Sag mir die Wahrheit.«
Aber er starrte nur auf seine Hände nieder. »Du musst mich wirklich für schwach halten«, murmelte er. »Nach dieser Geschichte wirst du mich nicht mehr achten können.«
Und trotz all seiner Anstrengungen konnte ich die Tränenspuren auf seinem Gesicht sehen, ein Schimmern auf der gemusterten Seite.
»Ich wünschte, ich könnte diese Tränen trocknen«, sagte ich leise. »Ich wünschte, ich könnte es für dich besser machen. Aber ich weiß nicht, wie.«
Es gab einen winzigen Augenblick, einen Herzschlag der Zeit, während dessen sogar Bäume und Felsen und die Luftströmungen den Atem anzuhalten schienen. Dann streckte er blind die Hand aus und griff nach meinem Arm und zog mich zu sich. Ich stand da, seinen Kopf an meiner Brust und die Arme um seine Schultern gelegt, als er den Rest der Tränen gehen ließ, die er so lange zurückgehalten hatte.
»Schon gut, Bran, es ist alles in Ordnung. Jetzt ist alles gut. Weine nur, mein Herz.«
Es dauerte lange Zeit, oder auch nicht. Wer kann das schon sagen? Die Männer störten uns nicht, und die hohen Buchen schauten schweigend zu, und die Sonne stieg an einem kühlen Herbsthimmel höher. Es ist nicht so schrecklich für einen erwachsenen Mann zu weinen. Nicht, wenn er achtzehn Jahre voll Kummer und Sorgen mit sich herumträgt. Nicht, wenn er schließlich nach einer langen und schmerzlichen Reise die Wahrheit herausgefunden hat. Schließlich hatte er genug geweint, und ich benutzte eine Ecke meines luftigen Gewandes, um ihm das Gesicht abzuwischen, und sagte streng: »Du solltest nicht einmal aus dem Bett sein. Hast du heute Früh schon etwas gegessen oder warst du zu sehr damit beschäftigt, Befehle zu geben?« Ich setzte mich neben ihn auf die Felsen, ganz nah, so dass unsere Körper sich berührten.
»Es war tatsächlich seltsam, aufzuwachen«, meinte er mit zitternder Stimme, »und zu sehen, dass du da neben mir lagst, und das ohne einen Fetzen Kleidung. Es war sowohl wunderbar als auch ärgerlich, weil ich so schwach war, dass ich dich nur ansehen konnte. Selbst jetzt kann ich kaum den Arm heben, um ihn um dich zu legen, und erst recht nicht dieses interessante Gewand, das du da trägst, ausnutzen. Ich nehme an, das ist alles, was du anhast.«
»Ah«, sagte ich und spürte, wie ich rot wurde, »du hast inzwischen Sinn für Humor entwickelt. Das gefällt mir. Es wird andere Morgen geben.«
»Wie kann das sein, Liadan? Wie können wir eine Zukunft haben? Du kannst nicht bei mir und den Männern leben, im Verborgenen umherziehen, immer über die Schulter sehen müssen, ausgestoßen und verfolgt. Ich könnte dich oder ihn nie dieser Gefahr aussetzen. Diese Entscheidung hat nichts damit zu tun, was du oder ich wollen könnten. Deine Sicherheit ist das Wichtigste. Außerdem, wie könntest du bei mir bleiben, nach dem was geschehen ist? Ich habe zugelassen, dass … dieser Mann mich gefangen nimmt; ich habe zugelassen, dass man Möwe verkrüppelt hat und dass du und mein Sohn die unerträglichste Behandlung erdulden mussten. Jetzt bin ich nur noch ein schaudernder, weinender Schatten eines Mannes. Was musst du von mir denken?«
»Seit unserer letzten Begegnung habe ich meine Ansicht nicht geändert«, erklärte ich bestimmt.
»Was sagst du da, Liadan?« Immer noch starrte er zu Boden und wollte mir nicht in die Augen sehen. Ich glitt von dem Stein, auf dem wir saßen, und wollte mich vor ihn knien, damit er keine andere Wahl hatte, als mich anzusehen. Ich legte die Hände auf seine, und nun hielten und schützten wir beide den silbernen Anhänger.
»Erinnerst du dich noch«, sagte ich leise, »dass du mich in Sevenwaters einmal gefragt hast, was ich mir für mich selbst wünsche? Ich habe gesagt, du wärst noch nicht bereit, es zu hören. Glaubst du, dass du es jetzt bist? Wie viel von dem, was hier geschehen ist, weißt du noch?«
»Genug. Genug, um zu wissen, wie wir durch die Jahre gegangen sind. Genug, um zu wissen, dass du bei mir warst. Genau das macht es so schwer. Ich sollte dir befehlen, zu gehen und dem ein Ende zu machen. Ich weiß, was das
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