Der Sohn der Schatten
Toten und betteten sie zur letzten Ruhe. Für die Witwen war gesorgt. Die Überfälle hörten auf. Die Bedrohung schien vorüber, obwohl die Menschen bei der Erinnerung an das, was geschehen war, immer noch schauderten. Sie hatten diesem Mörder einen Namen gegeben. Sie nannten ihn den Bemalten Mann. Ich glaubte, seine Bande sei von meinem Land verschwunden. Dann erhielt ich die Botschaft.«
»Was für eine Botschaft?«
»Keine einfache Herausforderung; nichts so Ehrliches. Die Botschaft lautete … vielleicht sollte ich das hier nicht wiedergeben. Es ist vielleicht nicht angemessen für die Ohren der Damen.«
»Du solltest es uns lieber gleich sagen«, meinte ich schlicht. »Wir werden es ohnehin hören, auf die eine oder andere Weise.«
Wieder sah er mich an. »Du hast selbstverständlich Recht, Liadan, aber es ist … es ist nicht angenehm. Nichts an dieser Geschichte ist angenehm. Man brachte … man brachte mir einen Lederbeutel, der an einer Stelle gefunden worden war, wo meine Männer ihn finden mussten. In diesem Beutel befand sich eine Hand. Eine fein säuberlich abgetrennte Hand.«
Vollkommenes Schweigen senkte sich über die Halle.
»An den Ringen an dieser Hand erkannten wir, dass sie einem der Unseren abgetrennt worden war. Ich begreife diese Geste als Herausforderung. Der Bemalte Mann teilt mir mit, dass er stark ist; ich weiß bereits, wie arrogant er sein kann. Seine Dienste und die der Männer, die er führt, sind nun in diesem Land zu kaufen. Das dürfen wir nicht vergessen, was immer wir weiterhin planen mögen.«
Wir saßen eine Weile völlig verblüfft da. Schließlich fragte mein Vater: »Du glaubst, dieser Bursche hätte die Unverschämtheit, nach allem, was er getan hat, seine Dienste anzubieten? Um Bezahlung zu bitten?«
»Er weiß, was er wert ist«, meinte Liam trocken. »Und er hat Recht. Es gibt viele Häuptlinge, die skrupellos genug sind, ein solches Angebot anzunehmen, wenn sie die Möglichkeit hätten, dafür zu zahlen. Ich denke allerdings, dass diese Männer nicht billig sind.«
»Man kann doch wohl kaum ernsthaft daran denken«, sagte meine Mutter. »Wer würde je einem solchen Mann trauen? Es sieht aus, als würde er seine Treue ständig wechseln.«
»Ein Söldner kennt keine Treue«, sagte Eamonn. »Er gehört dem Mann mit dem prallsten Beutel.«
»Dennoch«, sagte Sean bedächtig, als wäre er noch dabei, über etwas nachzudenken, »ich möchte gerne wissen, ob ihre Fähigkeiten zur See jenen gleichkommen, die sie bei dem Hinterhalt zeigten. Eine solche Streitmacht, gemeinsam mit einer disziplinierten größeren Kriegertruppe eingesetzt, würde einem große Vorteile verschaffen. Weißt du, wie viele Männer er hat?«
»Du würdest doch nicht ernsthaft daran denken, einen solchen Abschaum in deine Dienste zu nehmen?«, meinte Liam entsetzt.
»Abschaum? Nach dem, was Eamonn sagt, handelt es sich nicht um einfache Banditen. Sie schlagen mit vollkommener Beherrschung zu, planen ihre Überfälle aufs Intelligenteste.« Sean dachte immer noch angestrengt nach.
»Sie sind vielleicht klug, aber sie sind schlimmer als Fianna, weil sie ihre Aufträge ohne Stolz durchführen, ohne Verpflichtung, außer gegenüber der Tat selbst und der Bezahlung«, sagte Eamonn. »Dieser Mann sollte mich nicht unterschätzen. Wenn er stirbt, dann von meiner Hand. Er wird in Blut zahlen, wenn er Fuß auf mein Land setzt oder berührt, was mir gehört. Das habe ich geschworen. Und ich werde dafür sorgen, dass er davon erfährt. Sein Leben ist nichts wert, falls er mir noch einmal begegnen sollte.«
An diesem Punkt hielt Sean klugerweise den Mund, obwohl ich seine mühsam unterdrückte Aufregung spüren konnte. Eamonn trank noch einen Kelch Wein und war bald von begierigen Fragestellern umgeben. Wahrscheinlich war es das, was er im Augenblick am wenigsten wollte, nachdem seine Geschichte die Erinnerung an seine Verluste zurückgebracht hatte. Aber ich war nicht seine Hüterin.
***
An diesem Abend hatte ich zum ersten Mal erlebt, dass Eamonn zugegeben hatte, eine Situation nicht vollkommen zu beherrschen. Wenn er etwas hatte, was ihn über alle hervorhob, war es seine Autorität, dicht gefolgt von seiner Hingabe an alles, woran er glaubte. Es war daher kein Wunder, dass die Präzision und Waghalsigkeit des Angriffs des Bemalten Mannes und die Arroganz, die er an den Tag legte, ihn zutiefst verstörten. Er wollte seine Schwester am nächsten Tag nach Hause bringen, denn dort warteten viele
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