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Der Sohn der Schatten

Der Sohn der Schatten

Titel: Der Sohn der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Viehdiebstählen und Vergeltungsschlägen.
    »Er kannte die Stärke meiner Truppe. Er hätte in der Vergangenheit nie mehr gewagt, als ein paar Tiere zu stehlen oder ein kleines Feuer irgendwo nahe an einem meiner Wachtürme zu entzünden. Er wusste, dass er mir im offenen Kampf nicht entgegentreten konnte und dass alles, was er tat, zu einem sofortigen Vergeltungsschlag führen würde. Aber er begehrt ein Stück Land, das mir gehört und das an der Grenze zu seinem fruchtbarsten Gelände liegt, und er intrigiert schon lange, um es zu erwerben. Er hat einmal versucht, es von mir zu kaufen, und ich habe abgelehnt. Nun, er hat für sein Silber anderen Nutzen gefunden.«
    Eamonn trank einen Schluck Wein und wischte sich den Mund ab. Seine Miene war ernst.
    »Wir hatten schon von einigen Blitzaktionen eines unsichtbaren Feindes gehört. Keine Wachtürme wurden beschädigt, keine Dörfer geplündert, keine Scheunen verbrannt. Nur getötet. Mit großer Wirksamkeit. Mit fantasievollen Methoden. Erst ein vereinzelter Wachtposten mit zwei Toten. Dann ein mutigerer Hinterhalt. Ein Trupp meiner Männer, der den Westrand der Marschen patrouillierte, verschwand. Eine Szene wie aus einem Alptraum. Ich erspare den Damen die Einzelheiten.« Er warf einen raschen Blick in meine Richtung und wandte sich dann wieder ab. »Es war nicht einmal besonders grausam. Es gab keine Folter. Es war nur ausgesprochen wirkungsvoll und … irgendwie anders. Wir hatten keine Ahnung, womit wir es zu tun hatten. Wir hatten keine Möglichkeit, uns vorzubereiten. All meine Bauern, meine Kätner, waren voller Entsetzen. Sie hielten diese lautlosen Mörder für Geschöpfe aus der Anderwelt, die blitzartig irgendwo auftauchen und wieder verschwinden konnten, eine Kreuzung von Mensch und Tier, ohne ein Gefühl für Recht und Unrecht.« Er schwieg einen Augenblick, und ich glaubte, dass er vor seinem geistigen Auge ein Bild hatte, das er nur zu gerne wieder zum Verschwinden gebracht hätte.
    »Man sollte annehmen«, fuhr er schließlich fort, »wir hätten auf unserem eigenen Land, unterstützt von Seamus' Männern, keine Schwierigkeiten gehabt, jeden Eindringling wieder hinauszuwerfen. Meine Männer sind diszipliniert. Erfahren. Sie kennen diese Marschen wie ihren eigenen Handrücken; sie kennen jeden Waldweg, jede Zuflucht, jede mögliche Falle. Wir haben uns in drei Gruppen aufgeteilt und versucht, den Feind in einem bestimmten Bereich zu isolieren, wo wir glaubten, dass er seine Kräfte konzentriert hatte. Dies erwies sich zunächst als Erfolg. Wir nahmen viele der Männer meines nördlichen Nachbarn gefangen und glaubten, die Gefahr sei vorüber. Aber es war seltsam; unsere Gefangenen schienen unruhig, sahen ständig über die Schulter. Ich nehme an, sie wussten schon vorher, dass die Angriffe nicht von einem einzelnen Feind kamen. Das Silber meines Nachbarn hatte ihm Streitkräfte gekauft, die er nie selbst hätte aufstellen können. Eine Kraft, die keiner von uns hier zur Verfügung hat.«
    »Was waren das für Leute?«, fragte Sean, der an Eamonns Lippen hing. Ich spürte seine Aufregung; das war eine Herausforderung, die er selbst gerne genossen hätte.
    »Ich habe sie nur einmal gesehen«, sagte Eamonn leise. »Wir ritten durch den verräterischsten Teil des Marschlandes, kehrten mit den Leichen meiner Männer in unser Hauptlager zurück. Es ist nicht möglich, an einem solchen Ort anzugreifen. Ich hätte es nie für möglich gehalten. Ein falscher Schritt, und der Boden verschlingt alles, und man hört nichts weiter als ein leises Plätschern, wenn ein Mann untergeht. Man ist dort nur sicher, wenn man den Weg genau kennt.
    Wir waren zu zehnt«, fuhr er fort. »Wir ritten in einer Reihe, denn der Pfad ist schmal. Wir trugen die Leichen hinter den Sätteln. Es war später Nachmittag, aber der Nebel, der dort herrscht, lässt den Tag wie die Abenddämmerung wirken und Abenddämmerung wie Nacht. Die Pferde kannten den Weg und brauchten keine Führung. Wir waren leise und gestatteten uns selbst an diesem verlassenen Ort nicht, in unserer Wachsamkeit nachzulassen. Ich habe gute Ohren und scharfe Augen. Meine Männer waren handverlesen. Aber ich habe es nicht bemerkt. Wir haben es alle nicht bemerkt. Das leise Flöten eines Marschvogels, das Quaken eines Frosches. Ein winziges Geräusch, ein Zeichen; und dann waren sie über uns. Sie kamen aus dem Nichts, erhoben sich aber alle genau im selben Augenblick, einer für jeden von uns, und sie rissen die

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