Der Sohn der Schatten
retten, müssen wir deinen Arm abschneiden … Ich werde dich so gut wie möglich in Schlaf versetzen, aber du wirst es wahrscheinlich immer noch spüren. Es wird eine Weile sehr schlimm sein … Versuch, dich nicht zu rühren. Vertrau mir. Ich weiß, was ich tue …« Ich hätte nicht sagen können, ob er mich verstand oder nicht, oder ob er mir glaubte. Ich war nicht sicher, ob ich mir selbst glaubte. Draußen erklangen die Geräusche ruhiger, geordneter Aktivität. Die Männer kümmerten sich um ihre Pferde. Eimer schepperten. Waffen wurden geschliffen. Niemand redete sonderlich viel.
»Wir sind bereit«, sagte Möwe.
Ich hatte aus der tiefsten Ecke meiner Tasche einen kleinen Schwamm geholt und den einige Zeit in der kleinen Schale eingeweicht. Möwe schnupperte.
»Das bringt mich tief in die Vergangenheit zurück. Erinnert mich an die Kräutertränke meiner Mutter. Ziemlich starkes Zeug. Maulbeeren, Bilsenkraut, Hopfen, Alraune? Wo hat ein braves kleines Mädchen wie du gelernt, so etwas zuzubereiten? Das kann einen Mann ebenso töten wie ihn heilen.«
»Deshalb brauchen wir den Essig«, sagte ich und sah ihn neugierig an. Hatte ein Mann ohne Vergangenheit eine Mutter? »Die Kräuter sind in den Schwamm getrocknet. Sehr nützlich, wenn man unterwegs ist. Du kennst dich ein wenig mit diesen Dingen aus?«
»Das meiste habe ich längst vergessen. Das ist Frauenarbeit.«
»Es könnte nützlich sein, es wieder zu lernen. Für Männer, die solche Gefahren eingehen, habt ihr offenbar wenig Möglichkeiten, eure Wunden und Krankheiten zu behandeln.«
»Es passiert nicht oft«, sagte Hund. »Wir sind die Besten. Meistens werden wir nicht verwundet. Das da war ein Unfall, schlicht und ergreifend.«
»Sein eigener Fehler«, stimmte Möwe zu. »Außerdem hast du den Hauptmann gehört. Wir haben unsere eigene Art, damit fertig zu werden. Hier wird niemand mitgeschleppt.«
Ich schauderte. »Hast du das selbst schon einmal getan? Einem Mann die Kehle durchgeschnitten statt zu versuchen, ihn zu retten?«
Hund kniff seine gelben Augen ein wenig zusammen und sah mich an. »Wir leben in unterschiedlichen Welten. Keiner hier erwartet, dass du das verstehst. Jemand, der so schwer verwundet ist, dass er seine Arbeit nicht mehr machen kann, hat keinen Platz bei uns. Und anderswo gibt es auch keinen Platz für ihn. Der Hauptmann hat Recht. Frag die anderen. Alle. Wenn einer von uns an Evans Stelle wäre, würden wir um das Messer bitten.«
Ich dachte darüber nach, während ich den Schmied überredete, ein paar Tropfen, die ich aus dem kleinen Schwamm drückte, herunterzuschlucken.
»Das ist Unsinn«, sagte ich. »Vielleicht gehört es zu euren Regeln, worin immer die bestehen mögen. Aber warum habt ihr dann versucht, das Leben dieses Mannes entgegen dem Befehl eures Hauptmanns zu retten? Wieso habt ihr es nicht einfach beendet, wie er es getan hätte?«
Es sah nicht so aus, als ob sie antworten wollten. Ich drückte den Schwamm in der Hand, und ein wenig mehr von der äußerst giftigen Mixtur tröpfelte in Evans Mund. Er schloss die Augen. Schließlich begann Möwe, leise zu sprechen.
»Das hier ist anders. Evan ist ein Schmied, kein Kämpfer. Er hat ein friedliches Handwerk gelernt. Er hat eine Chance, draußen leben zu können, wenn er erst genug gespart hat, um wegzugehen. Es müsste aber schon weit weg sein; Armorica, Gallien, übers Meer. Er hat eine Frau, die in Britannien auf ihn wartet, er kann sich davonmachen, sobald er genug Silber hat, um sich sicheres Geleit zu verschaffen. Auf seinen Kopf ist eine Belohnung ausgesetzt wie bei uns allen. Aber er hat zumindest diese Hoffnung.«
»Das konnten wir dem Hauptmann nicht sagen«, murmelte Schlange. »Es war schwierig genug, ein paar Tage zu erbetteln. Ich hoffe, dass du Wunder wirken kannst, Heilermädchen. Du wirst eines brauchen.«
»Ich heiße Liadan«, sagte ich, ohne nachzudenken. »Ihr könnt mich bei meinem Namen nennen, das wird einfacher für uns sein. Und jetzt sollten wir lieber anfangen. Wer wird schneiden?«
Möwe sah Hund an, und Schlange sah Hund an, und Hund betrachtete das tödliche, gezahnte Messer.
»Sieht aus, als würde es mich treffen«, meinte er.
»Größe und Kraft sind nicht alles«, warnte ich. »Du musst auch sehr ruhig bleiben können. Der Schnitt muss rasch und sauber geführt werden. Und er wird schreien. Dieser Betäubungstrank ist stark, aber nicht so stark.«
»Ich werde es machen.«
Niemand hatte gehört, wie der
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