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Der Sohn des Alchemisten

Der Sohn des Alchemisten

Titel: Der Sohn des Alchemisten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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bist du selber einer! Sei still, da kommt jemand!«
    »Wer das auch ist«, flüsterte Jakob, »ich überlass ihn ganz dir. Falls du es mit deinem Gewissen vereinbaren kannst, zu stehlen und zu rauben!«
    Vor ihren Augen tauchte ein kleiner rundlicher Mönch auf. Schnaufend stapfte er den Berg hinauf, der Schweiß rann ihm über das Gesicht, aber er schwang seinen Wanderstab, als müsse er aller Welt beweisen, dass der Berghinauf nach Cebreiro ein Kinderspiel für ihn sei. Hinter sich her zog er an einem Strick einen Esel. Als er die beiden Kinder sah, unterbrach er seinen Gesang.
    »Gott zum Gruße«, rief er, winkte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Puh! Ha! Geht’s hier nach Santiago de Compostela? Uff! Ich hoffe doch, denn einen solchen Aufstieg wie diesen macht keiner gern umsonst.«
    »Wir sind selbst Pilger«, antwortete Marie, »und kennen den Weg nur vom Hörensagen!«
    »Ah – oh«, schnaufte der Mönch, »entschuldigt bitte, ich habe euch für Hirten aus der Gegend gehalten! Seid mir willkommen, Brüder und Schwestern!«
    Verblüfft beobachteten Marie und Jakob, wie der kleine Mönch ächzend zu ihnen wankte und sich mit einem freudigen Seufzer neben ihnen ins Gras fallen ließ.
    »Autsch! Ah! Eine Distel! Genau am Allerwertesten. Na, wen Gott liebt, den prüft er, heißt es. Warum soll der Allmächtige nicht auch das Durchhaltevermögen meines Hinterns auf die Probe stellen, wenn es ihm gefällt. Ei! Schöne Aussicht hier, sogar von einer Distel aus. Komm her, Josephine, mein Hintern hat den besten Riecher! Das Distelchen wird dir schmecken, meine kleine Eseldame! Woher kommt ihr, wenn ich fragen darf? Denn wohin ihr geht, das ist ja klar!«
    Jakob und Marie sahen sich an und mussten lachen.
    »Lacht ihr meinen Hintern aus? Oder mein Eselchen? Ich darf doch sehr bitten.« Der Mönch schaute unterseinen buschigen Augenbrauen von einem zum andern. »Oder hat euch die Pilgerfahrt schon derart geläutert und beschwingt, dass ihr einfach fröhliche Leute seid? Na, wenn ihr nicht reden könnt, dann rede eben ich. Ah! Wirklich, schöne Aussicht! Wie die Wolken dort drüben den Berg hochkriechen! Wollt ihr einen Apfel?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, warf er Jakob und Marie einen Apfel zu und biss selbst zufrieden in einen hinein.
    »Danke, Vater!«, stotterte Jakob.
    »Nenn mich nicht Vater«, fuhr der Mönch fort. »Ich bin ein einfacher Mönch. Und obendrein sind wir Pilger auf dem Weg nach Santiago doch alle Brüder und Schwestern. Gestatten, mein Name ist Johannes, Bruder Johannes.«
    »Danke, Johannes«, verbesserte sich Jakob kleinlaut und probierte den Apfel.
    »Ja, die Äpfel!«, plapperte der Mönch weiter. »Wegen der Äpfel bin ich überhaupt unterwegs. Hat doch der gute Herr von Taxa eines schönen Morgens vor seiner Schwelle einen Apfel entdeckt, worauf eindeutig das Antlitz der heiligen Muttergottes, der Maria höchstpersönlich erschienen war. So wahr Josephine gerne Disteln isst, ich hab’s selbst gesehen! Ein Apfel mit einem Mariengesicht!«
    Marie betrachtete besorgt ihren Apfel, aber es schien ein ganz gewöhnlicher zu sein, ohne irgendein Gesicht.
    »Ich habe an diesem Apfel gerochen – und schon hab ich gewusst – da ist was faul! Der Herr von Taxa verheimlichtwas! Der hat diesen Apfel nicht von ungefähr bekommen. Das war ein Mahnapfel, versteht ihr! Eine Mahnung vom Himmel! Und denkt euch, da ist ihm doch eingefallen, dem hohen Herrn von Taxa, dass er letztens in Seenot beim heiligen Jakobus gelobt hat, eine Kapelle zu bauen, wenn er gerettet wird. Und dass er das Versprechen bisher noch nicht eingelöst hat, das ist dem Schelm dann auch noch eingefallen.«
    »Schau den Sack an«, wisperte Marie. »Der Sack auf dem Esel – ziemlich dick, was?«
    Jakob nickte stumm.
    »Du hast wirklich einen Apfel mit einem Mariengesicht gesehen?«, fragte sie, um den Mönch abzulenken. Vorsichtig stand sie auf und begann, den Esel – oder besser die Eseldame – zu streicheln. Sollte sie versuchen, den Sack zu öffnen? Sie warf einen Seitenblick auf den Mönch. Er schaute versonnen hinab ins Tal, von wo die Wolken jetzt in dicken Schwaden zu ihnen hinaufzogen.
    Jakob schaute sie fragend an.
    »Ablenken«, formte sie mit den Lippen.
    »Ei freilich habe ich den Apfel selbst gesehen«, fuhr Bruder Johannes fort, ohne auf die beiden Kinder zu achten. »Ich kenne sogar einen Ort, an dem ein Huhn ein Ei mit einem Kreuz gelegt hat, als Mahnung für ein vergessenes Versprechen! Es hat doch

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