Der Sohn des Apothekers (German Edition)
zwar kein Spezialist, aber sie
könnten von einer Fesselung herrühren. Sicher bin ich mir da nicht, es könnten
auch andere Gründe zur Vernarbung des Gewebes geführt haben.«
Da die junge Frau derzeit nicht geschäftsfähig war, hatte das
zuständige Gericht der Sozialstelle der Stadt die Vormundschaft übertragen und
eine Pflegerin bestellt, die das Krankenhaus und sämtliche behandelnde Ärzte
von der Schweigepflicht entbunden hatte. Außerdem war über die
Staatsanwaltschaft ein gerichtsmedizinisches Gutachten beantragt worden, das
inzwischen auf Freddys Schreibtisch gelandet war. Nun war er ins Krankenhaus
gefahren, um darüber mit dem Arzt zu sprechen.
»Und hochgradig süchtig ist sie«, fügte der Arzt hinzu, »was in
ihrem Zustand natürlich für den Heilungsprozess nicht förderlich ist. Die
Entgiftung ist noch nicht abgeschlossen.«
»Heroin, steht in meinen Unterlagen«, antwortete Freddy Seelmann.
Der Arzt legte das Krankenblatt der jungen Frau auf den
Beistelltisch, auf dem inzwischen der Name Tanja Sommerlath vermerkt worden
war. »Das deckt sich mit unseren Untersuchungen. Sind Sie schon einen Schritt
weitergekommen?«
Freddy schüttelte den Kopf. »Außer Frage steht, dass sie bei
hoher Geschwindigkeit aus einem Wagen auf die Straße stürzte. Der
Rechtsmediziner hat ein Verletzungsmuster rekonstruiert, das den Verdacht
aufwirft, dass sie hinausgestoßen wurde. Wir vermuten einen Bus oder einen Van
mit Schiebetüren, denn bei dem angenommenen Tempobereich kriegen Sie eine
herkömmliche Tür kaum auf. Wir gehen von einem Mordversuch aus, denn jeder kann
sich vorstellen, was mit einem Körper geschieht, der bei einer derart hohen
Geschwindigkeit auf die Straße geworfen wird. Da wird der Tod billigend in Kauf
genommen.«
»Ich hoffe, dass Sie die Kerle kriegen, die das getan haben«,
entgegnete der Arzt.
»Eine Frage noch, Herr Doktor. Gibt es Anzeichen dafür, dass
man sie in einem Kellerverlies festgehalten hat?«
»Anzeichen?«, wiederholte der Arzt fragend. »Was für Anzeichen
meinen Sie?«
»Keime, Bakterien, ich bin kein Fachmann«, entgegnete Freddy
Seelmann. »Ich dachte nur, ein modriges und verschimmeltes Kellerverlies
hinterlässt irgendwelche Spuren. Vielleicht in den Atemwegen oder der Lunge
oder auch unter den Fingernägeln.«
Der Arzt nickte. »Ich verstehe, aber da muss ich leider passen.
Ich kann nur sagen, dass sie im Allgemeinen in einem sehr schlechten
gesundheitlichen Zustand ist und es wohl auch vor dem Vorfall nicht zum Besten
mit der Hygiene stand. Außerdem ist sie auffallend blass, was durchaus dafür
spricht, dass sie nicht viel Sonne zu sehen bekam.«
Freddy nickte. »Danke, und falls ich noch Fragen habe …«
»Sie können mich jederzeit anrufen, das ist kein Problem. Ich
helfe gerne, wenn ich kann.«
*
»Bingo!«, rief Lisa und schaute vielsagend auf den Computerbildschirm.
»Was hast du denn?«, fragte Trevisan, der gegenüber Platz
genommen hatte und ebenfalls auf den Bildschirm starrte.
»Spur 156«, sagte Lisa. »Die Aussage eines Gemischtwarenhändlers
namens Staufert und der Wirtin einer Pension in Tennweide. Beide haben am
Tattag einen langsam durch den Ort fahrenden VW-Bus gesehen. Einen alten, teils
verrosteten Bus mit weißer Lackierung, der möglicherweise ein dänisches
Kennzeichen hatte. GA und dann folgten vier oder fünf Zahlen, die
Farbkombination könnte tatsächlich dänisch gewesen sein.«
Trevisan rief auf seinem Bildschirm die Spur 156 auf und las
die Auszüge der beiden Zeugenaussagen, die ihre Angaben unabhängig voneinander
gemacht hatten. »Hm«, brummte er, »ein dänischer Bus, das könnte passen.«
»Das meine ich aber auch«, triumphierte Lisa.
»Du hast schnell dazugelernt. Du siehst also, wie hilfreich
dieses Programm ist. Damit man die Dinge zusammenführen kann und den Überblick
behält.«
Lisa kam zu Trevisans Schreibtisch und setzte sich locker auf
die Schreibtischkante. »Wenn der Hintergrund nicht so traurig wäre, dann würde
es mir sogar richtig Spaß machen. Das ist ja wie Rätselraten.«
Trevisan legte den Kopf
schräg. »Mein Gott, ich frage mich, was ihr die ganze Zeit über in dieser
Abteilung getrieben habt.«
»Ich sagte doch schon, wir haben Bilder von Vermissten auf
Milchtüten geklebt.«
»Im Ernst?«
»Natürlich nicht. Aber Fahndungsplakate, Fahndungshinweise und
die ganze Öffentlichkeitsarbeit, das war schon ein wesentlicher Teil unserer
Arbeit.«
»Das ist gar nicht schlecht.« Trevisan
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