Der Sohn des Apothekers (German Edition)
aus dem
Gerichtssaal marschieren«, murmelte sie. »Das Schicksal ist eben grausam und
die Welt ungerecht. Wir können da nicht viel daran ändern.«
11
Rudolf Thiele, der Apotheker, hatte mit der Betreuerin
seines Sohnes gesprochen und sie hatte einem Treffen mit Sven zugestimmt.
Natürlich nur in ihrem Beisein und nicht mehr als zwanzig Minuten, denn der
Junge sei äußerst sensibel. Ein paar Fotos und einen Eindruck, zu mehr würde es
nicht kommen. Das war zwar weitaus weniger, als Justin erwartet hatte, aber es
war zumindest ein Anfang.
Er verließ sein Zimmer und ging die Treppe hinab. Im Foyer
stand die Wirtin des Klosterkrug es hinter dem Empfangspult und sortierte
Schlüsselanhänger. Justin verzögerte seinen Schritt und blieb stehen. »Frau
Töngens, hätten Sie kurz Zeit?«
»Ja, bitte?« Sie zog eine Schublade auf und legte die
Schlüsselanhänger hinein.
»Ich habe mit Herrn Staufert gesprochen. Wegen der Sache,
damals, dem Verschwinden der beiden Mädchen.«
Magda Töngens schaute Justin herausfordernd an. »Und?«
»Sie hatten damals der Polizei gegenüber geäußert, dass Sie einen
VW-Bus hier im Ort gesehen hatten, möglicherweise einen dänischen Bus, wenn ich
richtig informiert bin.«
Magda Töngens nickte gleichgültig. »Ja, hab ich.«
»Könnten Sie mir erzählen, wo Sie den Bus …«
»Na, da draußen!« Sie zeigte durch das Fenster hinaus auf den
Kirchplatz. »Da fuhr er langsam um den Baum, hielt kurz an. Ausgestiegen ist
niemand. Der Bus stand da wohl mindestens fünf Minuten, dann ist er
weitergefahren, zurück auf die Hauptstraße in Richtung Mardorf.«
»Ein weißer VW-Bus mit rostiger Seitentür?«
»Stimmt, und auf dem Kennzeichen stand GA, die Zahlen habe ich
mir nicht gemerkt.«
»Und es war sicher ein Däne?«
»Das weiß ich nicht. Staufert meinte, es ist dänisch, daraufhin
zeigte mir die Polizei ein dänisches Kennzeichen und es sah genauso aus wie das
auf dem Bus.«
»Können Sie sich noch daran erinnern, wann das war?«
»Die Kirchturmuhr schlug viermal, als der VW-Bus weitergefahren
ist, deswegen kann ich das ganz genau sagen, es war um vier.«
»Vielen Dank.« Justin legte seinen Zimmerschlüssel auf den
Tresen. »Ich komme erst heute Abend wieder, es kann spät werden.«
»Was heißt spät?«, fragte Magda Töngens.
»Nach Mitternacht.«
»Da bin ich noch wach«, antwortete sie.
Justin ging zu seinem Wagen. Den Laptop trug er bei sich. Er
umrundete den Audi, doch diesmal schien alles in Ordnung. Justin schloss auf
und wollte einsteigen, da sah er einen Fetzen Papier, der hinter dem
Scheibenwischer auf der Fahrerseite klemmte. Justin griff nach dem Zettel und
blickte sich aufmerksam um, doch außer einer Frau mit einem weißen Hund vor der
Kirche und einem Mann mittleren Alters, der den Baum inmitten des Kirchplatzes
betrachtete, war niemand zu sehen. Justin ließ sich auf den Fahrersitz sinken
und faltete die Nachricht auseinander.
Wenn du wissen willst, was passiert ist, dann treffen wir
uns heute um Mitternacht, und halte dein Handy bereit. Komm alleine und zu
niemand ein Wort, sonst wird nichts daraus, dann wirst du nie erfahren, was
damals passiert ist.
Justin schluckte. Er fuhr sich über das Kinn. Schließlich stieg
er wieder aus und ging zurück in den Gasthof. Der Zettel, ein abgerissener Teil
eines linierten DIN-A4-Blattes, war mit einem Computer geschrieben. Justin
überlegte, was er tun sollte.
»Da sind Sie ja wieder«, sagte Frau Töngens, als er erneut vor
dem Empfangspult stand.
»Ja … ja«, stotterte Justin. »Ich muss noch mal … Ich brauche
meinen Schlüssel.«
Die Wirtin reichte ihn Justin und blickte ihm verständnislos
nach, als er einfach wortlos weiterging. »Was ist denn mit dem los?«, murmelte
sie und schüttelte den Kopf.
*
Martin Trevisan
deponierte seinen Koffer in der kleinen Einliegerwohnung im Erdgeschoss und
verließ das Haus, um den Ort zu erkunden. Er lief die Höhingstraße in Richtung
Kirchplatz entlang. Kleine verklinkerte Häuschen mit sauberen Vorgärten säumten
den Straßenrand. Die Sonne schien und nur wenige Wolken bedeckten den ansonsten
blauen Himmel. Die letzten Tage im April waren warm und trocken gewesen und der
Mai stand vor der Tür. Die Meteorologen hatten für die nächsten Tage weiteren
Sonnenschein versprochen, erst gegen Ende der Woche war wechselhaftes Wetter
vorausgesagt.
Er bog auf den Kirchplatz ab, auf dem in der Mitte eine große
Linde stand. Darunter standen zwei Bänke im Schatten
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