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Der Sohn des Apothekers (German Edition)

Der Sohn des Apothekers (German Edition)

Titel: Der Sohn des Apothekers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Hefner
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Bericht nicht gelesen?« Er griff nach der Zeitung und
präsentierte Rosi Meierling den Artikel.
    »Ich lese keine Zeitung, da stehen in letzter Zeit nur noch
schlechte Nachrichten drinnen. Aber Sie haben recht, das war damals für uns
alle ein Schock. Und für uns Vermieter war es ein ganz schlechtes Spätjahr –
die Herbstwanderer blieben aus, nur weil irgendeine Zeitung Tennweide als Ort
des Grauens titulierte. Dabei sollen die Mädchen, so erzählt man, nach Dänemark
verschleppt worden sein.«
    Trevisan legte die Zeitung auf die Bank zurück. »Damals ging
man davon aus, dass sie ermordet wurden. Es wurde sogar ein Junge aus dem Ort
verhaftet, steht da drinnen.«
    »Ja, ich weiß«, seufzte Rosi Meierling. »Das war der Sven, der
Sohn unseres Apothekers. Der Sven ist geistig behindert und trotz seines Alters
noch immer wie ein Kleinkind. Aber der war das nicht, das wussten wir damals
alle. Nur die Polizei war davon überzeugt, weil sie einen schnellen Erfolg
vorweisen musste.«
    »Der Junge wurde wieder freigelassen?«, fragte Trevisan.
    »Ja, nach sieben Tagen. Man hatte ihn in eine geschlossene
Anstalt eingewiesen. Seine Mutter starb kurz darauf und heute ist er im Heim,
weil er die Haft nicht verkraftete und sich sein Vater nicht mehr alleine um
ihn kümmern kann.«
    »Sie kennen den Jungen wohl gut«, mutmaßte Trevisan.
    »Als damals seine Mutter an Krebs erkrankte, habe ich mich eine
Zeit lang um ihn gekümmert. Ich glaube, diese sieben Tage in Haft haben ihm
sein freundliches und offenes Wesen geraubt. Er hat es nicht verkraftet und
blieb verschlossen und stumm, ganz anders als vorher.«
    »Man fand ein Kettchen bei ihm, das einem der Mädchen gehörte«,
zitierte Trevisan aus dem Zeitungsbericht.
    »Er hat es wahrscheinlich gefunden.«
    Trevisan horchte auf. »Zufällig, meinen Sie?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Rosi Meierling. »Aber der Sven
tut niemanden was zuleide, das ist ein braver Kerl.«
    »Im Bericht steht, dass er der Polizei die Stelle im Wald
zeigte, wo er das Kettchen fand. Das war wohl in der Nähe einer Lichtung.«
    »Er hätte denen alles gezeigt, was sie sehen wollten, und er
hätte ihnen auch alles erzählt, was sie von ihm hören wollten. Ich kenne Sven.«
    »Das klingt, als habe ihn die Polizei unter Druck gesetzt.«
    »Hören Sie, Herr Trevisan, die Sache geht mich zwar nichts an,
aber die Polizei hat sich wirklich nicht mit Ruhm bekleckert«, entgegnete Rosi
Meierling. »Und unser Dorfpolizist war am schlimmsten von allen. Dabei hätte
der am ehesten vor der eigenen Haustür kehren sollen. Egal, wahrscheinlich hat
Sven das Kettchen tatsächlich im Wald gefunden, denn wie es scheint, soll ja
eine dänische Rockerbande die Mädchen entführt haben. Sven war oft draußen
unterwegs. Damals hieß es im Ort, dass die armen Mädchen wohl umgebracht und in
irgendeiner ausgedienten Torfgrube verscharrt worden waren. Und da gäbe es
schon welche hier im Ort, denen ich so etwas zutrauen würde. Warum, glauben
Sie, bin ich froh, dass meine Sarah weit, weit weg ist von hier. Es kann mir
gar nicht weit genug sein.«
    »Sie halten wohl nicht viel von den Leuten hier im Ort?«
    »Tennweide ist ein kleines Dorf, Herr Trevisan«, sagte Rosi
Meierling. »Nachdem mein Mann starb und ich meine Tochter alleine großziehen
musste, war es nicht einfach für uns. Sie wissen doch, es gibt immer ein paar,
die meinen, weil sie Geld oder Macht besitzen, können sie sich alles erlauben.«
    Trevisan zuckte mit der Schulter. »Ich verstehe nicht, was Sie
meinen.«
    »So manche Forscher haben recht, wenn sie behaupten, dass
Menschen nichts anderes sind als Tiere mit einem Gehirn. Je kleiner der Ort,
umso strenger ist die Hackordnung.« Rosi Meierling lächelte wehmütig. »Aber ich
will Ihnen nicht den Abend verderben, Sie sollen sich hier bei mir und in
unserem Ort wohlfühlen, Herr Trevisan«, schob sie nach, ehe sie sich erhob und
in der Küche verschwand.
    Trevisan aß kalten Braten und trank ein Glas Wein dazu. Seine
Gedanken kreisten um das, was Rosi Meierling gerade erzählt hatte. Irgendetwas
stimmte hier nicht. Und er wurde das Gefühl nicht los, dass er hier im Ort und
bei Rosi Meierling genau an der richtigen Adresse war, um mit seinen
Nachforschungen zu beginnen.
    *
    Monika Keppler klopfte nervös mit ihren Fingern auf die
Tischplatte. Alle hatten sich um den Konferenztisch in der Redaktion
versammelt, doch ein Stuhl blieb leer: der von Justin Belfort.
    »Wir sollten die Polizei informieren«,

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