Der Sohn des Apothekers (German Edition)
Zeugenaufrufs anfangs der Woche ergeben hatte. Diesmal über das
Landeskriminalamt Hamburg gesteuert.
Inzwischen waren die Posteingänge wieder rückläufig. Hanna war
dankbar dafür, denn jede neue halbwegs vernünftig klingende Mitteilung
bedeutete weitere nervenaufreibende Arbeit und weitere Abklärungen über die
zuständigen Polizeidienststellen. Vier Ermittlungsersuchen hatte sie heute
bereits verfasst und weitere sieben Faxmitteilungen warteten noch auf die
Bearbeitung, doch es war fraglich, ob sich tatsächlich wertvolle Ansatzpunkte
aus den Informationen ergeben würden. Zumindest der Hinweis auf Mallorca,
Melanie Reubold und den Robinsonclub betreffend, war haltlos, hatte das BKA
über die zuständigen Behörden in Palma festgestellt. Das Mädchen, das den
Hinweisgeber dort als Animateurin betreute, hatte zwar eine entfernte Ähnlichkeit
mit dem Opfer, arbeitete aber noch immer dort im Club, hieß Nina, stammte aus
Essen und erfreute sich bester Gesundheit.
Hanna überflog das Anschreiben der Kollegen aus Hamburg und
blätterte weiter. Schließlich stieß sie einen Pfiff aus, erhob sich und ging
samt der Akte hinüber zu der Stellwand mit den Fotos und Hinweisen des Falles.
Lisa hob den Kopf. »Was ist los?«
»Schau dir das mal an!«
Lisa stand auf und trat an Hannas Seite. Hanna hob ein Bild aus
der Akte direkt neben das Foto von Tanja Sommerlath. Die Ähnlichkeit war
frappierend.
»Woher stammt das?«, fragte Lisa.
»Das Fax ist von unseren Hamburger Kollegen«, erklärte Hanna.
»Ein Hotelier will Tanja in der Zeitung wiedererkannt haben. Sie arbeitete bis
vor einem halben Jahr in seinem Hotel, bis er ihr kündigte, weil sie gestohlen
hatte.«
»Im Ernst?«, fragte Lisa fassungslos. »Woher hat er das Foto?«
»Das stammt aus dem Personalblatt der Angestellten. Sie nannte
sich Tamara Sygow.«
»Dann sollten wir Trevisan informieren.«
Hanna warf einen nachdenklichen Blick auf das Foto in den Akten
der Hamburger Kollegen. »Hoffentlich ist es nicht bloß wieder eine
Verwechslung, so wie auf Mallorca.«
*
Die Sonne stand tief im Westen und warf ihre letzten rötlichen
Strahlen durch die zarten Schleierwolken. Es war ein milder, angenehmer Samstag
gewesen, der sich langsam seinem Ende zuneigte. Trevisan war nach Tennweide zurückgekehrt.
Mit Frau Meierling hatte er den ausklingenden Tag beim Abendessen verbracht.
Er erhob sich und lehnte sich locker gegen das Geländer der
Veranda.
Tagsüber hatte er einen ausgedehnten Spaziergang durch das Dorf
unternommen und im Gasthaus Klosterkrug zu Mittag gegessen. Das
beherrschende Thema waren natürlich der Zeitungsartikel in der HAZ und
der bevorstehende Massen-Gentest gewesen. Überall hatte man darüber getuschelt.
Die Polizei war demnach offenbar der Meinung, die Täter stammten aus dem Ort,
und genau auf diese Interpretation hatte Trevisan beim Abfassen der
Pressemeldung abgezielt. Auch Frau Meierling fand während des Abendessens kein
anderes Thema, nachdem Trevisan immer wieder das Gespräch darauf lenkte.
»Ich bin froh, dass Sarah nicht mehr hier ist«, hatte sie
wieder gesagt, nachdem sich Trevisan mit ihr erneut über das Dorfleben
unterhalten hatte.
»Übrigens hat sich unser Polizist bei mir nach Ihnen erkundigt«,
bemerkte sie, nachdem sie den Esstisch abgeräumt hatte und aus der Küche auf
die Veranda zurückgekehrt war.
»So, bin ich etwa verdächtig?«, schmunzelte Trevisan.
»Ich weiß es nicht, ich kenne Sie ja erst seit dieser Woche und
wer weiß, vielleicht sind Sie ja auch gar nicht der, für den Sie sich
ausgeben.«
»Ja, wer weiß«, witzelte Trevisan. »Aber Sie können sich sicher
sein, dass ich mit dem Verschwinden der Mädchen nichts zu tun habe, das schwöre
ich.«
»Das will ich auch hoffen.«
»Was wollte der Sheriff denn wissen?«
Rosi Meierling trat an seine Seite. »Noch einen Wein?«
Trevisan wies in den Himmel, auf dem sich die roten Schlieren
der Wolken mit den ersten dunklen Boten der anbrechenden Nacht vereinten. »Es
ist so ein schöner Abend und ehrlich gesagt würde ich gerne noch einen kleinen
Spaziergang machen. Wie wär’s, hätten Sie Lust?«
Rosi Meierling zuckte mit der Schulter. »Ich weiß nicht, man
wird über uns reden, wenn man uns zusammen sieht.«
»Weil wir zusammen spazieren gehen?«
»Ich meine nur, ich lebe hier in einem kleinen Ort mit knapp
zweihundertfünfzig Einwohnern und wir sind nahezu gleich alt, da wird man
denken …«
»Mich stört es nicht, wie ist es mit
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