Der Sohn des Apothekers (German Edition)
Ihnen?«
Rosi schaute in den Himmel, schließlich zuckte sie wieder mit
der Schulter. »Also gut, ich hole mir nur meine Weste.«
Sie verließen das Haus und wandten sich
nach links Richtung Wiesenweg. Rosi Meierling hatte sich eine beige Strickweste
übergezogen. Ihre roten Haare glänzten in der untergehenden Sonne. Trevisan
fand die Frau durchaus attraktiv, auch wenn sie nicht unbedingt sein Typ war.
Langsam schlenderten sie die Straße hinunter. Am Wiesenweg bogen sie in
Richtung Ortsmitte ab.
»Ach, ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal so spazieren
gegangen bin. Ist schon eine halbe Ewigkeit her«, seufzte sie und erzählte von
den verschiedenen Gästen, die sich schon bei ihr eingemietet hatten.
Normalerweise vermiete sie ausschließlich an Ehepaare, aber hier und da mache sie
eine Ausnahme, sagte sie.
»Und bei mir haben Sie eine Ausnahme gemacht. Warum denn
eigentlich?«
»Sie klangen so nett am Telefon«, entgegnete die Frau. »Nett
und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Sie eine Auszeit brauchten.«
Trevisan zog die Augenbrauen hoch. »So etwas hören Sie am
Telefon?«
Sie nickte. »Ich traue mir zu, Menschen auf den ersten Blick
beurteilen zu können. Mit meinen Einschätzungen liege ich meist richtig.«
Trevisan lächelte. »Und was halten Sie von mir?«
Rosa Meierling schmunzelte. »Sportlich, jung geblieben,
wahrscheinlich geschieden mit einem stressigen Beruf. Ein Mann, der sich nach
ein klein wenig Entspannung sehnt. Aber ansonsten harmlos.«
»Harmlos?«, wiederholte Trevisan belustigt.
»Na ja, ich meine, dass Sie einen guten Charakter haben, anders
als so manche. Ich halte Sie zumindest für ehrlich, aber auch ein klein wenig
verschlossen. Sie sagen nicht gerne, wie es Ihnen geht und wie es da drinnen
aussieht, stimmt’s?« Sie zeigte auf Trevisans Brustkorb.
»Ertappt«, antwortete Trevisan und schlug den Weg Richtung
Kirchplatz ein.
Sie blieb stehen. Die Luft war geschwängert vom Stallgeruch,
der von Tjadens Hof über das Dorf geweht wurde.
»Was ist?«
Sie zeigte in die Torfstraße. »Es ist besser, wenn wir hier
lang gehen. Da sieht uns keiner.«
Trevisan blieb ebenfalls stehen und wandte sich zu ihr um.
»Wenn es Ihnen peinlich ist, dann bringe ich Sie gerne zurück.«
Einen Augenblick überlegte sie, bis sie sich zögernd wieder in
Bewegung setzte. »Was soll’s, wir sind erwachsen.«
»Eben«, bestätigte Trevisan und wartete, bis sie auf seiner
Höhe war. Langsam schlenderten sie weiter.
»Wir sollten uns noch einen kleinen Absacker genehmigen, ehe
wir wieder nach Hause gehen. Wie wäre es mit dem Klosterkrug ?«
»Oh, wir könnten doch auch bei mir …«
Trevisan hob abwehrend die Hand. »Keine Widerrede!«
Als sie auf den Kirchplatz einbogen, standen zwei Wagen unter
dem Lindenbaum in der Mitte des gepflasterten Platzes. Trevisan erkannte den
schwarzen Golf sofort, es war der Raser vom letzten Mittwoch. Ein blauer Honda
stand daneben. Auf der Bank, die unter der Linde stand, saßen drei junge
Männer.
»Lassen Sie uns hier entlang gehen!«, sagte Rosi Meierling.
Ihre Stimme klang etwas gedämpft, als ob sie nicht unbedingt gehört werden
wollte.
»Das ist doch der Rennfahrer, wenn ich mich nicht täusche«,
sagte er.
»Ja«, sagte sie kurz.
»Haben Sie etwa Angst vor ihm?«
»Angst … nein, aber die Kerle müssen uns nicht unbedingt sehen.
Die ganze Bande ist wieder zusammen. Der Kevin, daneben sitzt der Carsten, das
ist der Sohn unseres Arztes, und der lange Kerl, der da auf der Motorhaube
herumlungert, ist Mirko, der Sohn vom Unternehmer Stolz. Die haben Geld wie
Dreck. Spekulationen mit Grundstücken am See, natürlich nicht ganz astrein, da
haben einige im Ort ordentlich draufgezahlt. Es fehlt nur noch der Basti, das
ist der Sohn vom Gemeindevorsteher. Der ist an für sich ganz harmlos, wenn die
anderen nicht dabei sind.«
Trevisan blieb stehen und schaute zu den jungen Männern
hinüber, die scheinbar angeregt in ein Gespräch vertieft waren und keine Notiz
vom Drumherum nahmen.
»Ach was, kommen Sie, die sind doch sicher alle ganz harmlos«,
sagte Trevisan. »Die sitzen doch nur da rum und erzählen. Wenn sich bei uns die
Jungs und Mädels am Samstag am Fliegerdeich treffen, da geht ganz schön der
Punk ab.«
Rosi Meierling schüttelte den Kopf. »Normalerweise ist es hier
genauso. Da dröhnt die Musik durch den ganzen Ort, dass man nachts nicht
schlafen kann. Im Sommer ist das schlimm, sage ich Ihnen. Halbstarke eben, die
sich
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