Der Sohn des Azteken
nehmen nur echte Helden in ihre Reihen auf, Krieger, die sich in vielen Schlachten ausgezeichnet und feindliche Ritter erschlagen haben. Ein Pfeilritter erhält diesen Ehrentitel nur deshalb, weil er im Umgang mit dem gemeinhin ungenauen Bogen besondere Geschicklichkeit unter Beweis stellt. Dabei spielt es keine Rolle, ob er mit dieser Waffe viele Feinde getötet hat.
»Ihr alle wißt, weshalb ihr dort steht«, sagte ich zu den Männern an der Mauer, und zwar laut genug, damit es der Rest der Truppe ebenfalls hörte. »Ihr werdet beschuldigt, mit dem falschen Verehrten Statthalter Yeyac gemeinsame Sache gemacht zu haben, obwohl ihr alle wußtet, daß er diesen Titel nach der Ermordung seines Vaters und seines Schwagers widerrechtlich an sich gerissen hatte. Ihr seid Yeyac gefolgt, als er sich mit den Weißen verbündete, den Eroberern und Unterdrückern unserer EINEN WELT. Als Handlanger der Spanier habt ihr mit Yeyac gegen tapfere Männer unseres eigenen Volkes gekämpft, um zu verhindern, daß sie den Unterdrückern weiterhin Widerstand leisteten. Leugnet einer von euch diese Anschuldigungen?«
Zu ihrer Ehre sei gesagt, daß sich niemand meldete. Das gereichte auch Nochéztli zur Ehre. Offensichtlich hatte er seine Aufgabe redlich erfüllt.
Ich stellte noch eine Frage. »Macht jemand Umstände geltend, die seine Schuld mildern könnten?« Fünf oder sechs Männer traten vor. Doch sie konnten alle sinngemäß nur sagen: »Als ich meinen Eid ablegte, Herr, habe ich geschworen, die Befehle meiner Vorgesetzten zu befolgen, und ich habe mich daran gehalten.«
»Ihr habt einen Eid auf das Heer geleistet«, erwiderte ich, »nicht auf einen Menschen, der, wie euch bewußt war, gegen die Interessen des Heeres handelte. Dort stehen mehr als neunhundert andere Krieger, eure Kameraden, die sich nicht zum Verrat verleiten ließen.« Ich wandte mich an Zehenspitze und fragte leise: »Hast du Mitleid mit einem dieser elenden Irregeleiteten?«
»Mit keinem«, erwiderte sie entschieden. »Als wir Purémpecha in Michihuácan die Macht hatten, wurden solche Männer an Pfähle gebunden, bis sie so schwach waren, daß die Geier nicht erst auf ihren Tod warten mußten, bevor sie anfingen, sie zu fressen. Ich schlage das als die angemessene Art der Hinrichtung für alle vor.« Bei Huitzli, dachte ich, Pakápeti ist so blutrünstig geworden wie G’nda Ké.
Ich sagte wieder so laut, daß alle es hörten, obwohl meine Worte den angeklagten Männern galten: »Ich habe zwei Frauen gekannt, die als Kriegerinnen mannhafter waren als ihr. Hier neben mir steht die eine von ihnen. Wenn sie keine Frau wäre, hätte sie es verdient, in den Ritterstand erhoben zu werden. Die andere tapfere Frau hat den Tod gefunden, als sie eine ganze Festung voll spanischer Soldaten zerstörte. Ihr dagegen seid eine Schande für eure Kameraden, für eure Fahnen, für euren Schwur, für uns Azteca und für jedes andere Volk der EINEN WELT. Ich verurteile euch ohne Ausnahme zum Tode.« Ich wartete einen Augenblick, dann fuhr ich fort: »Aber ich will Milde walten lassen. Jeder darf seine Todesart selbst bestimmen.« Zehenspitze schüttelte empört den Kopf. »Ihr könnt euer Leben auf eine von drei Arten beenden. Entweder könnt ihr euch morgen auf dem Altar von Coyolxauqui, der Schutzgöttin von Aztlan, als Opfer darbringen. Da ihr in diesem Fall nicht aus freiem Willen die Stufen zu Ihr hinaufsteigen würdet, wäre diese öffentliche Hinrichtung allerdings eine immerwährende Schande für eure ganze Familie und eure Nachkommen. Da eure Häuser und euer Besitz beschlagnahmt werden, müßten eure Familien nicht nur in Armut, sondern auch in Schande leben.«
Ich machte eine Pause, damit sie darüber nachdenken konnten.
»Oder ihr gebt mir euer Ehrenwort. Ihr wißt selbst, euch ist wenig genug Ehre geblieben! Ihr werdet also die Erde darauf küssen, daß jeder von euch nach Hause geht, die Speerspitze auf seine Brust richtet, sich hineinstürzt und so von der Hand eines Kriegers stirbt, auch wenn es die eigene ist.«
Die meisten Männer nickten ernst, doch ein paar wenige warteten auf meinen dritten Vorschlag. »Oder ihr wählt eine andere, noch ehrenhaftere Art des Selbstopfers für die Götter. Ihr könnt euch freiwillig für einen Einsatz melden, den ich geplant habe. Und«, fügte ich voll Verachtung hinzu, »das bedeutet, daß ihr gegen eure Freunde, die Spanier, kämpfen werdet. Nicht einer von euch wird diesen Einsatz überleben. Darauf küsse ich die
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