Der Sohn des Azteken
haben, für den Fall, daß wir einer feindlichen Streitmacht auf ihrem Weg in den Norden begegneten. Doch wir entdeckten nicht einmal einen Spähtrupp des Gegners, der den Weg erkundet hätte. Deshalb bestand auch kein Grund, meine Männer zu tarnen oder zu zerstreuen. Wenn wir abends das Lager aufschlugen, gaben wir uns keine Mühe, den Schein der Feuer zu verbergen, über denen wir unsere Mahlzeiten bereiteten. Es waren sehr gute, nahrhafte und kräftigende Mahlzeiten, denn die Krieger, die dazu eingeteilt waren, erlegten unterwegs Wild.
Ich ging davon aus, daß wir am Morgen des vierten Tages in Sichtweite der Posten sein würden, die Coronado vermutlich um seine Stadt aufgestellt hatte. Ich rief meine Ritter und Cuáchictin im Morgengrauen zusammen und sagte zu ihnen: »Ich rechne damit, daß wir uns bei Einbruch der Nacht in der richtigen Entfernung für einen Angriff auf Compostela befinden. Doch ich will nicht aus dieser Himmelsrichtung angreifen, denn damit werden die Spanier am ehesten rechnen. Ich habe auch nicht vor, den Angriff sofort zu führen. Wir werden die Stadt umgehen und uns auf ihrer Südseite wieder vereinigen. Ihr werdet eure Truppen also hier teilen. Die eine Hälfte bewegt sich in gehöriger Entfernung westlich von diesem Hauptweg, die andere östlich davon. Die beiden Hälften werden jeweils weiter unterteilt. Die Krieger suchen sich einzeln sehr vorsichtig und lautlos einen Weg nach Süden. Alle Standarten werden eingerollt, die Speere sind waagrecht zu tragen, und jeder Mann nutzt Bäume, Gestrüpp, Kakteen und alles, was Deckung bietet, aus, um sich so unsichtbar wie möglich zu machen.«
Ich nahm meinen auffälligen Kopfputz ab, faltete ihn sorgfältig und verstaute ihn hinter mir auf dem Sattel. »Herr«, fragte ein Ritter, »wie halten die Männer zu Fuß ohne Fahnen die Verbindung untereinander aufrecht?« Ich erwiderte: »Ich und die drei anderen Berittenen werden unseren Weg fortsetzen. Auf den Pferden sind wir gut sichtbar und auffällig genug, damit die Männer uns folgen können. Und schärft ihnen ein: Die ersten haben mindestens hundert Schritte hinter mir zurückzubleiben. Sie brauchen keine Verbindung untereinander zu halten. Je weiter sie voneinander entfernt sind, desto besser. Sollte jemand auf einen spanischen Späher treffen, muß er den Feind natürlich töten, aber lautlos und unauffällig. Ich will, daß wir so nahe wie möglich an Compostela herankommen, ohne entdeckt zu werden. Doch wenn einer eurer Männer auf einen feindlichen Stoßtrupp oder Posten stößt, und er braucht Hilfe, soll er den Kriegsruf ausstoßen. Danach sind die Standarten zu entrollen. Auf dieses Signal hin werden sich alle unsere Männer auf der entsprechenden Seite des Wegs sammeln. Die Krieger auf der anderen Seite setzen ihren Vormarsch lautlos und unauffällig fort.«
»Aber wenn wir uns so verteilen«, sagte ein anderer Ritter, »ist es dann nicht möglich, daß die versteckten Spanier einen nach dem anderen von uns erledigen?«
»Nein«, sagte ich. »Kein Weißer wird sich jemals so geräuschlos und unsichtbar bewegen können wie wir, die wir in diesem Land geboren sind. Und kein spanischer Soldat, der mit Metall und Leder belastet ist, kann auch nur still sitzen, ohne unabsichtlich Geräusche zu machen.«
»Der Uey-Tecútli hat recht«, sagte G’nda Ké, die sich mit den Ellbogen einen Platz in der Gruppe geschaffen hatte und sich wie üblich äußern mußte, auch wenn es völlig überflüssig war. »G’nda Ké kennt die spanischen Soldaten. Selbst ein stolpernder, humpelnder Krüppel könnte sich unauffälliger anschleichen.«
»Also«, fuhr ich fort. »Gehen wir davon aus, daß uns nicht irgendwelche Kämpfe von Mann gegen Mann aufhalten, daß wir nicht entdeckt werden, weil wir Lärm machen, und daß uns keine überlegene Streitmacht den Weg versperrt. Dann nehmen jetzt beide Hälften der Truppe ihren Weg nach Süden und lassen sich von mir leiten. Wenn ich den Zeitpunkt für gekommen halte, werde ich mein Pferd nach Westen lenken, dorthin, wo die Sonne untergeht, denn ich möchte, daß der Glanz von Tonatius Gunst so lange wie möglich auf mich fällt. Die Krieger auf der rechten Seite des Wegs werden mir weiterhin in hundert Schritt Abstand folgen und darauf vertrauen, daß ich sie sicher um die Stadt herumführe.«
»G’nda Ké wird dicht hinter ihnen gehen«, sagte sie zufrieden.
Ich warf ihr einen gereizten Blick zu. »Gleichzeitig wird der Cuáchic Comitl sein Pferd
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