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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Ticiltin austauscht. Ich habe gehört, daß das Gift dieser schwarzen Spinne das Fleisch ihres Opfers zersetzt, damit sie es leichter fressen kann. Das erklärt die klaffende Wunde am Bein. Inzwischen hat das Gift den ganzen Körper erfaßt. Das Gift verflüssigt im wahrsten Sinne des Wortes alles.« Er dachte nach und fügte dann hinzu: »Eigenartig, ich hätte eine so umfassende Zersetzung höchstens bei einem kleinen Kind oder bei einem alten, gebrechlichen Menschen erwartet.«
    »Was kannst du dagegen tun?«
    »Den Vorgang beschleunigen«, murmelte Ualiztli so leise, daß nur ich es hörte.
    Auch G’nda Kés Augen richteten sich auf den Arzt, und ihr Blick fragte ängstlich durch die geschwollenen Lider: Gibt es Rettung?
    Der Ualiztli antwortete laut: »Ich werde einige Medikamente holen.« Damit verließ er die Hütte. Ich stand neben dem Lager und blickte auf die aufgedunsene Frau hinunter. Sie war wieder so weit zu Atem gekommen, daß sie sprechen konnte. Ihre Worte waren abgehackt, und die Stimme klang krächzend und tonlos. »G’nda Ké darf nicht … hier sterben.«
    »Hier ist es so gut wie überall sonst«, erwiderte ich kalt. »Es sieht aus, als habe dich dein Tonáli in diesem Dorf an das Ende deines Weges und deiner Tage gebracht. Die Götter sind sehr viel einfallsreicher, als ich es sein könnte, wenn es darum geht, jemanden auf die richtige Weise zu beseitigen, der im Leben immer nur Böses getan hat.«
    Sie wiederholte noch einmal und betonte dabei ein Wort besonders: »G’nda Ké darf nicht … hier sterben … bei diesen Wilden.«
    Ich erwiderte achselzuckend. »Es ist dein Volk. Das ist dein Land. Eine Spinne, die in diesem Land heimisch ist, hat dich vergiftet. Ich finde es passend, daß du nicht von der Hand eines wütenden Menschen niedergestreckt wirst, sondern von einem der winzigsten Geschöpfe, das die Erde bewohnt.«
    »G’nda Ké darf nicht … hier sterben«, wiederholte sie noch einmal, obwohl sie mehr mit sich als mit mir zu sprechen schien. »Hier wird man sich nicht an G’nda Ké erinnern. G’nda Ké war dazu bestimmt, daß man sich an sie erinnern würde. Es war G’nda Ké bestimmt, daß sie … irgendwo … herrschen würde. Mit dem -tzin an ihrem Namen …«
    »Du irrst dich. Du vergißt, daß ich Frauen gekannt habe, die das -tzin verdienten. Aber du hast dich bis zum Ende bemüht, dir nur dadurch einen Namen in der Welt zu machen, indem du Schaden anrichtest. Trotz all deiner großartigen und hochtrabenden Pläne, trotz all deiner Lügen, deiner Schändlichkeiten und deiner Falschheit hat dein Tonáli bestimmt, daß du nicht mehr sein würdest als das, was du warst und jetzt bist – klein und giftig wie eine Spinne.«
    Endlich kam Ualíztli zurück und streute Piciétl-Krümel in die offene Wunde am Bein. »Das wird den Schmerz an dieser Stelle betäuben. Und hier, trink das.« Er hielt ihr eine ausgehöhlte Kürbisschale an die geschwollenen Lippen. »Es wird schnell dafür sorgen, daß du die anderen Schmerzen nicht spürst.«
    Als er sich aufrichtete und wieder neben mir stand, knurrte ich: »Ich habe dir nicht erlaubt, ihre Qualen zu lindern. Sie hat anderen Menschen genug Leid und Schmerzen zugefügt.«
    »Ich habe Euch nicht um Erlaubnis gebeten, Tenamáxtzin, und ich werde Euch nicht um Verzeihung bitten. Ich bin Arzt. Die Treue zu meinem Beruf steht selbst über meiner Ergebenheit Euch gegenüber, Herr. Kein Tícitl kann den Tod verhindern, aber er kann es aus Gewissensgründen ablehnen, ihn hinauszuzögern. Die Frau wird einschlafen und im Schlaf sterben.« Also schwieg ich und beobachtete, wie sich G’nda Kés geschwollene Lider endgültig schlossen. Ich weiß, was als nächstes geschah, überraschte Ualíztli ebensosehr wie mich und den anderen Tícitl.
    Aus der Wunde an G’nda Kés Bein begann plötzlich eine Flüssigkeit zu sickern. Es war kein Blut, sondern eine klare, wäßrige Flüssigkeit. Es folgte eine dickflüssigere Absonderung, immer noch klar, aber so übelriechend wie die Wunde. Aus dem Tropfen wurde ein Fließen, und bald darauf war der Gestank in der Hütte schlimmer als zuvor. Dann begann diese Flüssigkeit auch aus ihrem Mund, aus den Ohren und der Nase zu rinnen. Die Schwellung ihres Leibes ging langsam, aber sichtbar zurück. Während sich die straff gespannte Haut zusammenzog, wurden die Jaguarflecken wieder zu einer Unzahl gewöhnlicher Sommersprossen. Dann schienen sie zu verschwinden, während sich die Haut in Falten und Fältchen

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