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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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und Runzeln legte. Die Flüssigkeit floß inzwischen aus dem ganzen Körper. Ein Teil versickerte in der Erde des Hüttenbodens. Der Rest bildete eine dicke schleimige Schicht, vor der wir drei vorsichtig und angeekelt zurückwichen.
    G’nda Kés Gesichtszüge schwanden, bis nur noch formlose Haut den Schädel umhüllte, dann lösten sich alle Haare davon ab. Aus dem Fließen wurde wieder ein Sickern, und schließlich war der ganze Hautsack leer, der einmal G’nda Ké gewesen war. Der Yaki-Ticitl stieß einen Schrei nackten Entsetzens aus und verschwand mit einem Satz aus der Hütte.
    Ualiztli und ich beobachteten den Vorgang, bis es nichts mehr zu sehen gab, außer G’nda Kés Skelett, einigen Haarsträhnen und verstreuten Fingernägeln und Fußnägeln.
    Betroffen sahen wir uns an.
    »Sie wollte, daß man sich an sie erinnert«, sagte ich und bemühte mich, meiner Stimme einen festen Klang zu geben. »Dieser maskierte Mayo wird sich ganz bestimmt an sie erinnern. Was, im Namen Huitztlis, hast du ihr zu trinken gegeben?«
    Ualiztlis Stimme klang ebenso unsicher wie meine, als er antwortete: »Das war nicht mein Werk oder das der Spinne. Es ist noch erstaunlicher als das, was dieser Pakápeti widerfahren ist. Ich wage zu behaupten, daß kein anderer Ticitl jemals etwas Ähnliches gesehen hat.« Er beugte sich vor und berührte eine Rippe des Skeletts. Sie brach sofort ab. Er hob sie vorsichtig hoch und betrachtete sie aufmerksam. Dann kam er zurück und zeigte sie mir.
    »Das hier«, sagte er, »habe ich schon einmal erlebt. Seht her.« Er zerbrach die Rippe mühelos zwischen seinen Fingern. »Vielleicht erinnert Ihr Euch. Als die Krieger und Arbeiter der Mexica mit Eurem Onkel Mixtzin aus Tenochtitlan kamen, legten sie die großen Sümpfe um Aztlan trocken. Dabei gruben sie die Reste menschlicher und tierischer Skelette aus. Man zog den klügsten und ältesten Ticitl von Aztlan hinzu. Er untersuchte die Knochen und erklärte, sie seien alt, unglaublich alt, viele, viele Jahre alt. Er vermutete, daß es sich um die Überreste von Menschen und Tieren handelte, die vom Treibsand verschlungen worden waren, den es in längst vergessenen Zeiten an diesem Ort gegeben hatte. Ich lernte diesen Ticitl vor seinem Tod kennen. Er besaß immer noch einige der Knochen. Sie waren so spröde und mürbe wie diese Rippe.«
    Wir blickten beide wieder auf G’nda Kés Skelett, das auf dem Boden lag und vor unseren Augen zerfiel. Ualiztlis Stimme klang ehrfurchtsvoll, als er flüsterte: »Weder ich noch die Spinne haben diese Frau getötet. Sie war seit vielen Jahren tot, Tenamáxtzin. Sie war schon lange gestorben, bevor wir beide, Ihr und ich, geboren wurden.«
    Wir traten aus der Hütte und sahen, daß der Mayo-Ticitl laut schreiend durch das Dorf rannte. Er sah eher komisch aus mit der riesigen Maske, die würdevoll wirken sollte. Die anderen Mayo starrten ihn ungläubig an. Mir wurde bewußt, falls das ganze Dorf wegen der ungewöhnlichen Art von G’nda Kés Auflösung in Aufregung geraten sollte, hatten die Ältesten vielleicht doch noch einen Grund, mir zu mißtrauen. Deshalb beschloß ich, alle Spuren dieser Frau zu beseitigen. Ihr Tod sollte ein noch größeres Rätsel darstellen, damit es für den unglaublichen Bericht ihres Heilers keine Beweise gab. Ich wandte mich an Ualiztli: »Du hast gesagt, du hättest in deinem Sack eine brennbare Flüssigkeit.« Er nickte und zog einen gefüllten Lederbeutel hervor. »Das verteilst du überall in der Hütte.« Ich holte keinen glühenden Ast vom Kochfeuer, das ständig in der Mitte des Dorfes brannte, sondern zog verstohlen mein Brennglas hervor. Nach wenigen Augenblicken stand die Hütte aus Schilf und Rohr in Flammen.
    Die Leute starrten voll Staunen auf die Hütte – ich und Ualiztli taten ebenfalls erstaunt, als die Hütte zusammen mit ihrem Inhalt zu Asche verbrannte. Ich habe möglicherweise den Ruf des Ticitl der Mayo, ein ehrlicher Mann zu sein, für immer zerstört. Doch die Dorfältesten ließen mich nicht rufen, um von mir eine Erklärung für die merkwürdigen Ereignisse zu verlangen. Und im Laufe der nächsten Tage trafen aus allen Richtungen die Krieger anderer Dörfer einzeln oder in kleinen Gruppen ein. Sie waren gut bewaffnet und wollten offenbar nichts anderes, als möglichst schnell in meinen Krieg zu ziehen.
    Schließlich gab man mir mit Gesten zu verstehen, alle verfügbaren Männer seien nun versammelt, und so schickte ich sie mit Machihuiz nach Süden.

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