Der Sohn des Azteken
zu haben. Er schüttelte seine Heilrassel nur langsam und teilnahmslos.
Ualíztli tauchte wieder aus der Hütte auf. Auch er schien fassungslos. Ich fragte ihn: »Was können sie ihr nur zu essen gegeben haben, daß sie so ungeheuer dick geworden ist? Bei den Yaki habe ich noch keine Frau gesehen, die auch nur halb so gut genährt gewesen wäre.«
»Sie ist nicht dick, Tenamáxtzin«, erwiderte er. »Sie ist von giftigen Säften aufgedunsen.«
Ich rief ungläubig: »Kann das der Biß einer kleinen Spinne bewirken?«
Er sah mich schief an. »Sie behauptet, Ihr hättet sie gebissen, Herr.«
»Wie?!«
»Sie leidet entsetzliche Qualen. Auch wenn wir alle diese Frau gehaßt haben, so zweifle ich nicht daran, daß Ihr jetzt ein wenig Mitleid zeigen werdet. Wenn Ihr mir sagt, was für ein Gift Ihr auf Eure Zähne aufgetragen hattet, bin ich vielleicht in der Lage, ihr das Sterben zu erleichtern.«
»Bei allen Götternl« rief ich empört. »G’nda Ké ist mehr als verrückt, das weiß ich schon lange! Aber hast du auch den Verstand verloren?«
Er wich ängstlich zurück und stammelte. »Sie hat eine große klaffende und eiternde Wunde am Fußgelenk …« Ich sagte mit zusammengebissenen Zähnen: »Ich gebe zu, ich habe oft darüber nachgedacht, wie ich G’nda Ké umbringen könnte, wenn sie nicht mehr von Nutzen für mich sein würde. Aber sie beißen, damit sie stirbt? Kannst du dir in deinen kühnsten Vorstellungen ausmalen, daß ich diese Schlange mit dem Mund berühren würde? Sollte ich das jemals getan haben, wäre ich jetzt vergiftet! Ich würde leiden, ich hätte eine eiternde Wunde und würde sterben!« Ich schüttelte energisch den Kopf. »Sie ist beim Holzsammeln von einer Spinne gebissen worden. Da kannst du alle diese Weiber fragen, die sich zuerst um sie gekümmert haben.« Ich wollte die Hand nach der Mayo-Frau ausstrecken, die uns geholt hatte und mich jetzt unentwegt angsterfüllt anstarrte. Aber ich unterließ es, denn mir wurde klar, daß sie meine Frage weder verstehen noch beantworten konnte. Statt dessen ließ ich die Arme sinken, während Ualiztli sich beeilte, mir zu versichern: »Ja, ja, Tenamáxtzin, eine Spinne. Ich glaube Euch. Ich hätte es wissen müssen, daß die Hexe selbst auf dem Totenbett schamlos lügt.«
Ich holte mehrere Male tief Luft, um mich zu beruhigen, bevor ich erwiderte: »Sie will bestimmt, daß diese Anschuldigung den Yo’otui zu Ohren kommen. Sie mögen alle Frauen für wertlos halten, aber G’nda Ké ist eine Mayo. Wenn sie ihrer Lüge Glauben schenken, könnten sie mir als Rache die zugesagte Unterstützung verweigern. Lassen wir sie sterben.«
Er nickte und verschwand wieder in der Hütte. Ich folgte ihm. Doch ich schauderte bei ihrem Anblick und ekelte mich vor dem Verwesungsgestank, der von ihr ausging und den ich jetzt wahrnahm.
Ualiztli kniete neben dem Lager und fragte: »War die Spinne, die dich gebissen hat, groß und behaart?« Sie schüttelte den dicken gefleckten Kopf, wies mit dem wulstigen Finger auf mich und krächzte: »Er …« Sogar der Mayo-Ticitl mit der Holzmaske schüttelte ungläubig den Kopf.
»Dann sag mir, wo du Schmerzen hast«, wollte Ualiztli wissen.
»G’nda Ké hat überall Schmerzen«, murmelte sie undeutlich. »Wo sind die Schmerzen am schlimmsten?«
»Im Bauch«, keuchte sie. In diesem Augenblick wurden die Schmerzen noch heftiger. Sie verzog das Gesicht, schrie laut auf, warf sich zur Seite und krümmte sich zusammen, so gut es ihr gelang, wobei der geblähte Bauch in dicken Wülsten an ihr hing.
Ualiztli wartete, bis der Anfall abgeklungen war, bevor er fragte: »Hast du Schmerzen an den Fußsohlen?« Sie hatte sich noch nicht so weit erholt, daß sie sprechen konnte, doch sie nickte mit dem Kopf. »Aha!« Der Ualiztli schien zufrieden und stand auf. Ich fragte staunend: »Das sagt dir etwas? Die Fußsohlen?«
»Ja. Diese Art Schmerzen kommen vom Biß einer bestimmten Spinne. Bei uns im Süden begegnen wir diesem Tier selten. Wir sind mehr an die große, haarige Spinne gewöhnt, die bedrohlicher aussieht, als sie in Wahrheit ist. Doch in den nördlicheren Regionen findet man eine tödliche Spinne, die nicht groß ist und auch nicht besonders gefährlich aussieht. Sie ist schwarz und hat eine rote Zeichnung auf der Unterseite.«
»Dein Wissen erstaunt mich immer wieder, Ualiztli.«
»Man versucht, auf seinem Gebiet gut unterrichtet zu sein«, erwiderte er bescheiden, »indem man sich über seine Kenntnisse mit anderen
Weitere Kostenlose Bücher