Der Sohn des Azteken
Form des Tieres, das wir Berglöwe nennen. Der Name mußte noch von den Vorfahren aus Michihuácan stammen, denn keine der Frauen der Inseln konnte jemals einen Berglöwen gesehen haben.
Der Pukiitsi gleicht in gewisser Weise dem Berglöwen, obwohl er keinen wilden, sondern eher liebenswürdigen, sanften und freundlichen Eindruck macht. Der Pukiitsi hat ähnlich wie der Berglöwe eine Art Schnurrbart, doch seine Zähne sind stumpf, die Ohren winzig, und die flossenartigen Pfoten haben keine mörderischen Krallen. In Aztlan bekamen wir diese Meeresbewohner nur selten zu Gesicht, etwa wenn ein verletztes oder totes Tier an den Strand gespült wurde, denn sie mögen keine sandigen oder sumpfigen, sondern felsige Küsten. Wir nannten sie wegen ihrer großen, freundlichen braunen Rehaugen See-Rehe.
Auf den Inseln der Frauen hielten sich Hunderte dieser Seelöwen auf, doch sie ernähren sich ausschließlich von Fischen, und man mußte sich vor ihnen nicht wie vor Berglöwen fürchten. Sie schwammen verspielt neben den tauchenden Frauen im Wasser, sonnten sich träge auf den dem Ufer vorgelagerten Felsen oder ließen sich sogar schlafend auf dem Rücken im Wasser treiben. Die Frauen töteten die Seelöwen niemals, um sie zu essen, denn das Fleisch ist nicht sehr schmackhaft. Doch gelegentlich verendete ein Tier, und die Frauen zogen ihm die Haut ab. Der glänzende braune Pelz wird wegen seiner Schönheit und weil er wasserabweisend ist, als Kleidung geschätzt. Ixinatsi fertigte mir aus einem Fell einen warmen Umhang. Der Pelz ist so dicht, daß die Tiere im Meer leben können, ohne daß ihr Körper sich abkühlt oder daß sie bis auf die Haut durchnäßt werden. Und da der Pelz sehr glatt ist, können sie wie Fische pfeilschnell durch das Wasser gleiten.
Bei den tauchenden Frauen hat sich der Anflug eines ähnlichen Pelzes entwickelt. Ich habe an anderer Stelle darauf hingewiesen, daß die Völker der EINEN WELT üblicherweise frei von Körperbehaarung sind, doch ich muß diese Feststellung berichtigen. Der Körper eines jeden Menschen, selbst des jüngsten und scheinbar haarlosen Säuglings, ist zu einem großen Teil von beinahe unsichtbarem feinen Flaum bedeckt. Man stelle einen nackten Mann oder eine nackte Frau zwischen sich und die Sonne, und es wird sich zeigen. Der Flaum der Inselfrauen ist jedoch länger; vermutlich läßt sich das darauf zurückführen, daß sie seit so vielen Generationen Taucherinnen sind.
Ich meine nicht, daß sie einen Pelz von Haaren tragen, die so rauh wie die Barthaare der weißen Männer sind. Der Flaum ist fein, zart und farblos wie Seidenpflanzenfäden. Doch er glänzt auf ihren kupferfarbenen Körpern wie das Fell des Seelöwen und erfüllt auch den gleichen Zweck, nämlich die Frauen im Wasser wendiger zu machen. Die Umrisse einer Frau von den Inseln, in deren Rücken die Sonne scheint, sind von schimmerndem Gold gesäumt. Im Mondlicht glänzt sie silbern. Selbst wenn sie das Wasser schon lange verlassen hat und vollkommen trocken ist, wirkt sie taufrisch und geschmeidiger als andere Frauen, so als könne sie mühelos auch der Umarmung des stärksten Mannes entschlüpfen … Das bringt mich zu der Frage, die mich die ganze Zeit über am meisten beschäftigt hatte. Ich habe von den vielen Generationen tauchender Frauen gesprochen. Doch wie entstand die jeweils nächste Generation? Die Antwort ist so einfach, daß es lächerlich, sogar höchst gewöhnlich ist. Aber ich brachte erst am Abend meines siebten Tages auf den Inseln den Mut auf, diese Frage zu stellen. An diesem Tag hatte die alte Kuku angeordnet, daß ich am nächsten Morgen die Inseln verlassen sollte.
26
Mein Paddel war geschnitten und geschnitzt. Ixinatsi hatte mein Acáli mit getrocknetem Fisch und Kokosnußfleisch beladen und auch an eine Leine mit einem Knochenhaken gedacht, damit ich frischen Fisch angeln konnte. Sie legte fünf oder sechs frische Kokosnüsse dazu, deren hartes Ende sie weggeschnitten hatte, so daß nur eine dünne Haut sie verschloß. Die dicke Schale würde den Inhalt selbst in der heißen Sonne kühl halten. Ich mußte nur die Haut durchstechen, um die süße, erfrischende Kokosnußmilch trinken zu können. Sie gab mir die Anweisungen, die alle Frauen auswendig kannten, obwohl keine von ihnen jemals einen Grund oder den Wunsch hatte, die EINE WELT zu besuchen. Die Gezeitenströmungen zwischen den Inseln und dem Festland, so sagte sie, verliefen sanft und beständig in südliche
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