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Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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du?«
    »Ich verstehe«, murmelte ich. »Und Sklavinnen? Tragen auch Frauen ein Brandzeichen?«
    »Nicht immer.«
    Diese Frage schien ihm wieder Unbehagen zu bereiten. »Wenn sie jung und hübsch sind, wird ihr Besitzer sie vielleicht nicht entstellen.«
    »Das kann ich verstehen«, sagte ich und gab ihm den Federkiel zurück. »Vielen Dank, Cuati Alonso. Ich habe von Euch bereits einiges über das spanische Wesen gelernt. Ich kann es kaum erwarten, die Sprache der Spanier zu lernen.«
     
     

6
     
    Eigentlich wollte ich den Notarius Alonso noch um einen anderen Gefallen bitten. Er sollte mir eine Arbeit empfehlen, mit der ich genug verdienen würde, um davon leben zu können. Doch als er mir anbot, im Colegio de San José spanisch zu lernen, beschloß ich, diese Frage nicht zu stellen. Ich würde so lange in der Mesón bleiben, wie die Mönche es erlaubten. Die Herberge befand sich neben dem Kollegium, und wenn ich für Essen und Unterkunft nicht arbeiten mußte, konnte ich alle Bildungsmöglichkeiten nutzen, die mir die Schule bot. Natürlich würde das kein Luxusleben sein. Zwei nicht gerade reichliche Mahlzeiten am Tag machten einen kräftigen jungen Mann meines Alters kaum satt. Ich würde mir etwas ausdenken müssen, um anständig gekleidet zu sein. Ich hatte außer dem, was ich auf dem Leib trug, nur zweimal Sachen zum Wechseln mitgebracht. Diese Sachen mußten immer wieder gewaschen werden. Doch ich mußte mich auch selbst täglich waschen können. Wenn ich die beiden Kundschafter aus Tépiz fand, würden sie mir vielleicht mit heißem Wasser und Amóli-Seife helfen können, selbst für den Fall, daß sie kein Dampfbad besaßen. Ich hatte eine beachtliche Zahl Kakaobohnen in meinem Beutel. Zumindest eine Zeitlang würde ich mir auf den einheimischen Märkten die lebensnotwendigen Dinge kaufen können und hin und wieder etwas, um die Mahlzeiten bei den Mönchen zu ergänzen.
    »Wenn du willst, kannst du bis in alle Ewigkeit hier bleiben«, meinte Pochotl, der magere Mann, den ich wieder in der Herberge traf, als ich dorthin zurückkehrte und mich für das Abendessen anstellte. »Die Mönche werden nichts dagegen haben und es wahrscheinlich nicht einmal merken. Die Weißen betonen immer wieder, daß sie einen dreckigen Indio nicht vom anderen unterscheiden können. Ich schlafe hier, seit ich vor einigen Monaten mein letztes Gold und Silber verkauft habe, und lebe recht und schlecht von den beiden Mahlzeiten am Tag.« Wehmütig fügte er hinzu: »Du wirst es vielleicht nicht glauben, aber ich war einmal beneidenswert dick.«
    Ich fragte: »Was machst du mit der übrigen Zeit des Tages?«
    »Manchmal habe ich Gewissensbisse, weil ich zu einem Schmarotzer geworden bin. Dann bleibe ich hier und helfe den Mönchen, die Kochtöpfe zu schrubben und den Schlafraum der Männer sauberzumachen. Die Frauenabteilung wird von ein paar Nonnen in Ordnung gehalten. Nonnen sind weibliche Mönche. Sie kommen vom Refugio de Santa Brígida, wie sie es nennen, zu uns herüber. Doch meistens laufe ich einfach durch die Stadt und erinnere mich daran, was in früherer Zeit gewesen ist, oder ich sehe mir auf dem Markt Dinge an, die ich gerne kaufen würde.« Er seufzte: »Mein Leben besteht nur noch aus Langeweile und Müßiggang.« Wir standen inzwischen vor den dampfenden Kesseln. Ein Mönch füllte gerade unsere Schalen – wieder mit Entensuppe – und gab jedem einen Bolillo, als, wie am Tag zuvor, im Osten fernes Donnergrollen ertönte.
    »Sie sind wieder am See«, murmelte Pochotl, »und jagen Enten. Die Vogelfänger sind so pünktlich wie diese blödsinnigen Kirchenglocken, die mit ihrem Gebimmel den Tag in Stunden einteilen.« Ohne die Miene zu verziehen, ließ er sich die gefüllte Schale reichen. »Ayya, wir dürfen uns nicht beklagen! Wir bekommen schließlich unseren Anteil vom Fleisch.«
    Ich ging mit meiner Schale und dem Brot in den Eßsaal und nahm mir vor, bald einmal in der Abenddämmerung zur Ostseite der Insel zu gehen, um zu sehen, aufwelche Weise die spanischen Vogelfänger die Enten erlegten. Pochotl kam in den Saal nach und setzte sich zu mir. »Ich gebe zu, daß ich ein Bettler und Müßiggänger bin. Aber was ist mit dir, Tenamáxtli? Du bist noch jung und stark. Ich glaube, du scheust dich nicht zu arbeiten. Warum willst du hier bei uns, den Ärmsten der Armen, bleiben?« Ich deutete auf das Kollegium nebenan. »Ich werde dort zur Schule gehen und spanisch lernen.«
    »Wozu?« fragte er überrascht. »Du

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