Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn des Azteken

Der Sohn des Azteken

Titel: Der Sohn des Azteken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
andere Waisen im Ritual der Konfirmation salbte. Ich nahm an der Zeremonie nicht teil, doch ich sah flüchtig Rebeca in ihrem Gewand. Ich muß gestehen, sie sah komisch aus. Das Schwarzbraun von Kopf und Händen stand im starken Gegensatz zum Weiß des Gewandes. Als Rebeca mich bemerkte und lächelte, blitzten ihre Zähne. Es war das einzig Weiße an ihr. Von diesem Tag an habe ich sie nicht mehr angerührt, ja sie nicht einmal mehr gesehen, denn sie durfte das Refugio de Santa Brígida nicht mehr verlassen.
     
     

9
     
    »A cuántas patos ha matado hoy?« fragte ich schüchtern. »Caray, cientos! Y a tenazón«, erwiderte er und grinste stolz. »Unos gansos y cisnes además.« Also hatte er meine Frage, wie viele Enten er an diesem Tag erlegt habe, verstanden, und ich hatte seine Antwort verstanden.
    »Ha, Hunderte! Und das, ohne zu zielen. Außerdem ein paar Gänse und Schwäne.«
    Zum ersten Mal erprobte ich meine Spanischkenntnisse nicht an meinem Lehrer oder meinen Klassenkameraden. Der junge Mann war ein Soldat, der seinen Dienst als Vogelsteller am See versah. Er wirkte nicht abweisend. Vielleicht lag es daran, daß ich spanische Kleidung trug und er mich für einen christianisierten Hausdiener hielt. Er sprach unaufgefordert weiter. »Por supuesto, no comemos los cisnes. Demasiado duro a mancar.« Ihm schien es wichtig, mir zu versichern: »Natürlich essen wir die Schwäne nicht. Sie sind zu zäh, um sie zu kauen.« Ich war schon öfter zum See gekommen, um zu beobachten, was Pochotl als eigenartige, aber wirkungsvoll Methode beschrieben hatte, mit der die Spanier Enten erlegten, die sich jeden Abend in der Dämmerung auf dem See niederließen. Es war in der Tat eine seltsame Methode, bei der ein Donnerstock, auch ›Arkebuse‹ genannt, benutzt wurde, der äußerst wirkungsvoll war.
    Die Vogelsteller befestigten zahlreiche Arkebusen an Pfählen, die am Ufer in die Erde eingeschlagen worden waren. Die Rohre der Waffen wiesen waagrecht auf das Wasser. Andere Arkebusen waren auf ähnliche Weise an Pfähle gebunden, ihre Rohre wiesen jedoch in verschiedenen Winkeln nach oben und in unterschiedliche Richtungen. Ein Soldat konnte alleine alle Waffen laden und abfeuern. Zuerst zog er an einer Schnur, und die waagrecht zielenden Arkebusen spien direkt über der Wasseroberfläche Rauch und Blitze. Sie töteten viele der schwimmenden Vögel und erschreckten die anderen, die in Panik aufflogen. Dann zog der Vogelsteller an einer zweiten Schnur, und die in verschiedene Richtungen weisenden Waffen feuerten alle auf einmal. Dabei rissen sie ganze Vogelschwärme aus der Luft. Danach ging der Soldat die Reihen der Waffen entlang und machte irgend etwas an der Mündung der Rohre und etwas am hinteren Ende. Während dieser Zeit beruhigten sich die Vögel und ließen sich wieder auf dem Wasser nieder. Dann begann das Schlachten von neuem. Vor Einbruch der Dunkelheit schickte der Vogelsteller Ruderer in Acaltin-Kanus hinaus, um die toten Vögel einzusammeln.
    Ich hatte den Vorgang mehrmals beobachtet, doch an diesem Tag nahm ich zum ersten Mal meinen Mut zusammen und stellte Fragen.
    »Wir Indios benutzen immer nur Netze«, sagte ich zu dem jungen Soldaten, »in die wir die Vögel hineintreiben. Eure Methode ist sehr viel erfolgreicher. Wie funktioniert das eigentlich?«
    »Es ist ganz einfach«, erwiderte er. »Am Gatillo jeder Arkebuse wird eine Schnur befestigt.« – Ich war bereits verwirrt, denn Gatillo bedeutete doch Kätzchen. – »Die Schnüre sind alle an einer Leine befestigt, die ich ziehe. Damit feuere ich alle Waffen gleichzeitig ab.«
    »Das habe ich gesehen«, sagte ich. »Aber wie funktioniert die Arkebuse?«
    »Ah«, sagte er und führte mich stolz zu einer der Waffen, kniete sich daneben und wies mit dem Finger: »Das kleine Ding hier ist der Gatillo.« Es handelte sich um ein Stückchen Metall, das unter dem hinteren Ende der Arkebuse hervorragte. Es hatte die Form einer Mondsichel und wurde mit dem Finger nach hinten gedrückt oder in diesem Fall mit der Schnur zurückgezogen. Das ›Kätzchen‹ befand sich in einem Metallbügel, der offenbar verhindern sollte, daß es zufällig bewegt wurde. »Und das hier ist das Rad. Es wird von einer Feder bewegt, die du nicht sehen kannst, weil sie sich in diesem Schloß befindet.« Das Rad war wahrhaftig ein Rad oder besser gesagt ein Rädchen von der Größe einer Scheidemünze. Es bestand aus Metall, und der Rand wies feine Zähne auf. »Was ist eine

Weitere Kostenlose Bücher