Der Sohn des Donnergottes
sich über die ständigen Gartenfeste wundern und über alles andere, was sie sonst noch erstaunte und wurmte. »Bei normalen Leuten wie uns besteht so ein Gartenfest bestenfalls aus Gießen und Jäten«, würde eines der Weiber aus dem Dorf sagen. Zum Schluß würden sie noch Sampsas Frauengeschichten unter die Lupe nehmen und mit Tränen in den Augen über seine Lebensgefährtin lachen. »Wer weiß, ob die Künstlerin ihren Herrn Lebensgefährten überhaupt schon mal rangelassen hat.«
Solche Worte drangen unaufhörlich an Sampsas Ohr. Obwohl sie ihn nicht sonderlich interessierten, bedrückten sie ihn doch, zumal ihm das Leben auch sonst ziemlich beschwerlich vorkam. Manchmal spielte er mit dem Gedanken, was passieren würde, wenn eine Neutronenbombe über dem Dorf Pentele abgeworfen würde. Sie würde alle Dorfbewohner auf der Stelle töten, jeden einzelnen würde es erwischen, Anelma genauso wie Sirkka, jedes lebende Wesen in ganz Pentele. Die Häuser und Gegenstände blieben unversehrt, nur die Leichen der Einwohner müßte man einsammeln und wegbringen. Fünfzig Leichenwagen führen gleichzeitig ins Dorf, und jeder bekäme einen Toten ab. In einer geräuschlosen Kolonne würde die Trauerprozession durch die Dorfstraßen führen, die schwarzen Autos schwankten unter dem Gewicht der Bauerntölpel. Langsam und respektvoll entfernte sich der Trauerzug, und eine vollkommene und glückliche Stille legte sich über das Dorf. Nur Sampsa und die Kultfigur blieben übrig, denn ihnen konnte die Neutronenbombe nichts anhaben.
Spann man die Geschichte noch ein bißchen weiter, wäre es nicht schlecht, auch über dem Helsinkier Stadtviertel Punavuori Bomben abzuwerfen, und warum eigentlich nicht gleich über ganz Finnland. Dieses gemeine Volk hatte nichts anderes verdient! Nur die verlassenen Städte und Dörfer zeugten dann noch von einem Volk, das hier einmal gelebt hatte, das es aber zum Glück nicht mehr gab. Und die sowieso unbedeutende Kultur wäre mit den Toten im Grab versunken. Die Welt würde sich an keinen einzigen sportlichen Erfolg erinnern, den Finnen errungen hätten, und das wäre verdammt gut so.
Sampsa streichelte das graue Kieferngesicht der Kultfigur und die Astbeule auf ihrem Kopf. Die Skulptur war noch warm vom Feuer. In dem kühlen Fichtenwald fühlte sie sich vertraut an, wie ein guter Kamerad. Sampsa sagte zu ihr:
»Bleib dort stehen und hilf mir, wann immer du kannst.« Die Figur grinste. Sie gab keinen Laut von sich, aber am Gesicht konnten man deutlich ablesen, daß man sich auf sie verlassen konnte.
In Gedanken versunken begann Sampsa, einen Vers zu sprechen, den er einmal aus dem Mund seines Vaters gehört hatte und der ihm in Erinnerung geblieben war.
He ho, Ukko Obergott,
Donnerer am Wolkenrand…
Plötzlich bebte der Fels, die Kultfigur fiel um, aus der Erde, aus dem Reich der Erdgeister, tönte das tiefe Brummen des brechenden Steins, und von oben, vom sommerlichen Himmel, schlug donnernd ein flammender Blitz hinab. Der zischende Kugelblitz raste zwischen den Fichten hindurch, als suchte er sich eine Stelle, an der er explodieren könnte. Als er Sampsa erreichte, fauchte er noch ein paar Mal und zerbarst dann in tausend Stücke.
Wo gerade noch ein brennender gelber Ball gezischt hatte, stand nun ein hünenhafter Mann mit dunkler Gesichtsfarbe, der mit einem dicken Bärenfell bekleidet war.
Rutja, der Sohn des Donnergottes, war vom Himmel hinabgestiegen. Er hatte in Finnland zu tun.
5
Rutja, der stattliche, furchterregend aussehende Gott, stand auf dem Fels und hielt die hölzerne Kultfigur in der Hand. Sampsa betrachtete erschüttert die stechend riechende Erscheinung. Wer um Himmels willen stand da vor ihm, wer war mit solch schrecklichem Getöse auf den Opferstein gedonnert? Rutja hob beschwichtigend die Hände. »Ich bin Rutja, der Sohn des Donnergottes. Hab keine Angst!«
Trotz dieser beschwichtigenden Worte hatte Sampsa fürchterliche Angst. So etwas war ihm noch nie passiert, nicht einmal in seinen wildesten Träumen. Am liebsten hätte er die Beine unter die Arme genommen, aber andererseits hätte gerade das womöglich das merkwürdige Pelzgesicht verärgert. Im Grunde wußte Sampsa nicht, was er tun sollte, fliehen oder sich ins Moos werfen und um Gnade betteln. War dieses barbarisch aussehende Wesen überhaupt ein Mensch?
Rutja setzte sich auf den Opferstein und ließ Sampsa Ronkainen erst einmal in Ruhe. Eine ganze Weile saßen sie so da, gut und gerne eine
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