Der Sohn des Donnergottes
offenbaren. Er hatte Angst vor dem KGB und den Handlangern Tschernenkos. Das wundert mich überhaupt nicht. Ich hatte alle Hände voll damit zu tun, ihn soweit zu bringen, daß er wenigstens mit mir über seine Probleme sprach. Im übrigen glauben Sie gar nicht, mit welchen Schwierigkeiten sich ein Stalin im heutigen Finnland auseinanderzusetzen hat! Selbst in der Kommunistischen Partei glauben höchstens noch zwei Genossen an ihn. Na ja, der Sohn des Donnergottes wird es da nicht leichter haben.«
Rutja hörte sich mit offenem Mund das Gequassel des Arztes an. Das klang so, als hielte Psychiater Osmola den Sohn des Donnergottes für durchgedreht. Das war beleidigend, aber man konnte Verständnis für diese Haltung haben, wenn man das Leben des Mannes berücksichtigte. Wenn einer jahrelang mit gestörten Menschen arbeitet, dann hinterläßt das seine Spuren. Mälkynen hatte ihn gewarnt, daß Osmola selbst ein Stück weit verrückt sei, wenn auch sonst ein gescheiter Kerl. Rutja beschloß, Osmola zum ersten Opferfest einzuladen, das er in Kürze im Antiquitätenladen abhalten wollte. Vielleicht war danach ein fruchtbareres Gespräch mit ihm über Geisteskrankheiten und ihre Behandlung möglich.
»Ach, Sie veranstalten tatsächlich Ihr eigenes Ritual? Warum nicht, aber meinen Sie, das ist wirklich notwendig? Sie können ruhig auch hier über Ihre Probleme sprechen und von mir aus auch gleich hier ein kleines Ritual durchführen.«
»Hier geht das nicht. Sie haben ja nicht mal einen Opferofen. Ich habe mir in meinem Antiquitätenladen in der Iso Roobertinkatu extra einen mauern lassen. Dort gibt es auch die nötigen Requisiten. Wäre es Ihnen recht, am heutigen Nachmittag gegen fünf zur Opferstätte zu kommen?«
Onni Osmola wurde nachdenklich. Stalin hatte ihn nach Moskau zur Siegesparade der Roten Armee eingeladen, hatte sich aber zufrieden gegeben, als der Arzt wegen seiner Termine nicht zusagen konnte, Nun lag ihm eine neue Einladung vor. An und für sich war das interessant, aber entsprach das den psychiatrischen Regeln, wenn der Arzt seinen Patienten bei seinen verrückten Plänen auch noch unterstützte? Und woher sollte er wissen, was in der Iso Roobertinkatu auf ihn zukam? Ob der Patient eventuell gewalttätig werden würde? Womöglich zerhackte Rutja Ronkainen seinen Arzt in kleine Stücke und opferte das Fleisch dem Donnergott?
Onni Osmola rief Notar Mälkynen an. Dieser versicherte, daß keine Gefahr bestand. Er nehme selbst an dem nachmittäglichen Opferritus teil. Außerdem wurden der Werbeleiter Keltajuuri, die Steuerprüferin Suvaskorpi und zwei einfache Arbeiter erwartet.
Onni Osmola notierte sich die Adresse von Ronkainens Antiquitätengeschäft und versprach zu kommen. Noch nachdenklicher als zuvor legte er den Hörer auf. Offensichtlich hatte er selbst eine psychiatrische Behandlung nötig, da er sich auf so etwas einließ. Nachdem Rutja gegangen war, schloß Onni Osmola seine Praxis und schluckte eine halbe Handvoll Beruhigungspillen.
»Manchmal habe ich das Gefühl, es wäre klüger gewesen, Jura zu studieren statt Medizin.«
Doch dann fiel ihm Mälkynen ein, der Jura studiert hatte. Es sah so aus, als schütze auch das nicht davor, verrückt zu werden.
Nach sorgfältigen Überlegungen bereitete Rutja das erste Kultritual zu Ehren Ukko Obergotts vor. Er schickte seine Jünger ins Delikatessengeschäft, wo sie Lebensmittel von vorzüglicher Qualität einkauften – Fleisch, Fisch, verschiedene Gewürze und andere Leckereien. Werbeleiter Keltajuuri traf in der Getränkehandlung eine Auswahl an Bieren, Weinen und finnischen Spirituosen. Mälkynen besorgte mehrere Säcke Holzkohle. Er wollte auch Anzünder und Spiritus mitbringen, aber Rutja meinte, das sei nicht nötig:
»Ich nehme einen Blitz, da brauchen wir keine Flüssigkeit.«
Der Opferraum wurde mit frischen Birkenzweigen dekoriert, die Notar Mälkynen zusammen mit Maurer Sivakka und Installateur Hannula per Lieferwagen auf dem Land geholt hatte, und mit Blütenduft parfümiert. Zuletzt wurden die Bauernbänke in den Salon getragen, dann war alles fertig.
Als Helfer bei der Zeremonie kommandierte Rutja eine Schar Elfen, Gnome und Wichtelmännchen herbei. Die mußte man nicht einmal im Himmel anfordern, denn es waren alles kleine Schutzgeister, die auf der Erde wohnten – was die Gnome betraf, teilweise sogar unter der Erde.
Die Wichtelmännchen waren etwa gut einen halben Meter große Kerlchen, fast koboldähnliche, lustige und
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