Der Sohn des Haeuptlings
nachts in die Bäume geklettert und hatten sich im Schlaf zwischen den Ästen festgebunden.
Was für sie anfänglich noch kindliches Spiel gewesen war — Schwimmen, Laufen, Jagen, das Schießen mit Pfeil und Bogen, das Erkennen von Spuren wilder Tiere, der Wurf mit dem Tomahawk, das Reiten auf ungesattelten Pferden, das Wissen um giftige Pflanzen —, das alles hatten sie von Jahr zu Jahr und, je älter sie geworden waren, immer ernsthafter und unter größeren Anstrengungen lernen müssen.
Bis der Medizinmann von ihrem Können und ihrer Gewandtheit überzeugt war und sie vor dem Walkan-Fest in die Wälder geschickt hatte. Sie durften sich während dieser Zeit nicht in der Nähe der Zelte blicken lassen. Aber es war ihnen erlaubt, diese Mutprobe in kleinen Gruppen oder nur zu zweit oder auch ganz allein zu bestehen.
Heute waren die Ausgezeichneten dieses Jahres vor Sonnenaufgang wieder aus den Wäldern zum Wigwam des Medizinmannes zurückgekommen, und Sunkaku hatte ihnen mit roter Farbe einen großen Kreis auf die Brust gemalt.
„Sinuah bathu“, hatte er dabei jedesmal sein Zauberwort geflüstert.
Damit waren sie für würdig befunden, am Abend, wenn die Trommeln das ganze Volk der Apachen zusammenriefen, sich vor dessen Augen als künftige Krieger des Stammes zu bewähren. Erst wenn sie diese Bewährung bestanden hatten, würde Kuguah die Knaben zu Männern und dann die Männer zu Kriegern erklären. Erst von diesem Augenblick an waren sie dann berechtigt, den Kopfschmuck der Apachen zu tragen und ihn mit einer weißen Adlerfeder für die bestandenen Mutproben zu schmücken. Das war stets die erste Auszeichnung, die ein junger Krieger vor den Augen des ganzen Stammes verliehen bekam.
Dieser Tag war vielleicht der wichtigste im Leben eines Apachen, und deshalb verbrachten die „Gezeichneten“ die Stunden bis zum Abend in völliger Abgeschlossenheit.
„Versenkt euch in eure Herzen“, hatte der Medizinmann sie beschworen. „Damit ihr mit jeder Sehne eures Körpers bereit seid, wenn man euch ruft.“
Ein Indianerjunge, der die Prüfung vor dem versammelten Stamm nicht bestand, konnte nie in den Rat der Krieger gewählt werden.
Es war also nicht im geringsten verwunderlich, wenn sich unsere beiden Indianerjungen im Schatten der Felsen und in ihrem Kanu weder um die schwarzen Rauchzeichen noch um den lauten Empfang für Mister Webster gekümmert hatten.
Ihre Gedanken waren nur auf den Abend und die Stunde des Sonnenuntergangs gerichtet.
Vor allem für Tesu, den fünfzehnjährigen Sohn des Häuptlings, würde es nicht nur darum gehen, die Probe zum Krieger zu bestehen. Von ihm erwartete das Volk der Apachen, daß er alle anderen Bewerber weit übertreffen würde. Denn Tesu sollte eines Tages seinem Vater Kuguah als Häuptling des Stammes nachfolgen.
Der Junge war schlank und schmal gewachsen. Er hatte die bronzene Hautfarbe seines Stammes, blauschwarzes Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel, und eine scharfgeschnittene Nase. Seine Augen überraschten durch ihre besonders klare blaue Farbe. Nicht umsonst bedeutete Tesu in der Sprache der Apachen soviel wie Himmelsauge.
Der andere Indianerjunge, der neben ihm im Boot lag, war breiter in den Schultern, aber nicht ganz so groß wie der Sohn des Häuptlings.
Tokana hatte keine Eltern mehr. Seit seinem vierten Lebensjahr wohnte er im Tipi fremder Stammesbrüder. Um sich ihnen gegenüber dankbar zu erweisen, hatte er ihre Herden bewacht und früher als alle anderen Jungen auf den Feldern gearbeitet.
Der Häuptlingssohn hatte Tokana schon immer bevorzugt. Vielleicht weil der Junge durch sein Schicksal schon sehr früh alles Kindliche abgelegt hatte und ernsthafter war als die anderen seines Alters.
Aber zu einer festen Freundschaft war es zwischen den beiden erst gekommen, als Tesu im vergangenen Jahr von einer ausgehungerten Hyäne angefallen worden war. Die beiden Jungen hatten mutterseelenallein die Prärie durchstreift. Es war Tesu noch gelungen, sich im letzten Augenblick zur Seite fallen zu lassen und sich vor dem ersten Sprung des Tieres zu retten. Aber als die Hyäne sich zum zweiten Angriff duckte, wäre der Sohn des Häuptlings verloren gewesen, wenn Tokana das Tier nicht mit seinem Pfeil dicht hinter dem linken Augen getroffen hätte. Laut aufbrüllend hatte sich die Hyäne auf der Erde gewälzt und schließlich die Flucht ergriffen. Noch lange war ihr Heulen aus dem Wald zu hören gewesen.
Tesu hatte nach diesem Vorfall seinen Vater gebeten,
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