Der Sohn des Haeuptlings
Gesetz ist inzwischen also vom Kongreß verabschiedet worden“, fuhr der Amerikaner in der Erklärung fort, die er beim Eintreten des Häuptlingssohnes unterbrochen hatte. „Entschädigungen können bei den zuständigen Distriktgerichten in den folgenden Fällen beantragt werden“, er las jetzt aus einem Schriftstück vor, „wenn einem Indianer sein Land gegen seinen Willen weggenommen wurde durch Betrug, unter Ausnutzung seiner Unwissenheit oder gegen ungenügende Bezahlung.“ Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück. „Ich habe die Ansprüche der Apachen bereits vorsorglich angemeldet. Zwei Rechtsanwälte meines Vertrauens werden die Klage vertreten und deshalb schon in den nächsten Wochen zu Ihnen hierher kommen.“ Er blickte auf. „Aber jetzt sollten wir Tesu nicht mehr länger warten lassen.“
Kuguah und auch alle anderen Männer blickten auf den Sohn des Häuptlings, der im neuen Schmuck des Kriegers aufrecht vor ihnen stand.
„Du kennst unseren weißen Bruder“, brach Kuguah nach einer Weile das Schweigen. „Er ist ein aufrichtiger Freund unseres Volkes.“
„Ich war nicht immer bei den Zelten, wenn uns der große weiße Mann besucht hat“, erwiderte Tesu. „In den Monaten des Sommers bin ich mit dem Stamm bei den Herden in der Prärie, wie mein Vater weiß.“
„Ja, es stimmt“, bemerkte Mister Webster. „Wir haben uns in den letzten Jahren viel zu selten gesehen. Aber jedesmal, wenn ich mich mit dem Häuptling und seinen Kriegern zu Verhandlungen traf, erkundigte ich mich nach Tesus Wohlergehen.“
Der Sohn des Häuptlings schien die Worte des Amerikaners gar nicht gehört zu haben. Er sagte nur: „Du bist der Bruder meines Vaters, du bist also auch mein Bruder.“
Das klang so unverbindlich, als hätte er nur eine Bemerkung über das Wetter gemacht.
Mister Webster ließ sich durch die frostige Antwort nicht erschüttern. Er hatte damit gerechnet, daß der Junge mißtrauisch reagieren würde. Denn selbstverständlich ahnte Tesu, daß sein Erscheinen vor dem Rat des Stammes etwas mit dem Vertreter der amerikanischen Regierung zu tun hatte. Und vermutlich nichts Gutes.
„Ich habe dir gesagt, daß dieser Tag zweifach groß für dich sei“, ergriff jetzt Kuguah wieder das Wort. Er streifte mit seinem Blick die undurchdringlichen Gesichter seiner Krieger und sah dann wieder zu seinem Sohn.
Von den Zelten herüber war Kindergeschrei zu hören und das Gebrüll von Tieren.
Tesu spürte in diesem Augenblick bis in die Fingerspitzen, daß ihm von dem weißen Mann in dem blauen Wollhemd Gefahr drohte. Irgend etwas Unheimliches mußte auf ihn zukommen. Er war hellwach. Trotzdem hörte er die Stimme seines Vaters nur noch wie aus der Ferne.
„Das Volk der Apachen ist ein kleines Volk geworden. Unser Leben ist nicht mehr das Leben unserer Väter. Vor fast hundert Jahren ist in den Schlachten an der ,Biegung des Flusses’ unser Traum gestorben. Lange hatten wir uns dann tatenlos in unsere Zelte zurückgezogen. Aber jetzt haben wir und unsere Brüder am Ort unserer Niederlage und dort, wo das Herz unserer größten Häuptlinge begraben ist, den Kampf wiederaufgenommen. Nicht mehr mit Tomahawks und Gewehren. Jetzt mit den Waffen des Geistes und der Kraft unserer Vergangenheit. Und die amerikanische Regierung hat unsere Stimme gehört. Wir finden Schutz vor den Feinden, die uns auch noch unser letztes Land, unser Wasser und die Schätze unseres Bodens stehlen wollten. Wir werden sie ihnen nicht geben. Die Erde ist unsere Mutter, und seine Mutter bringt man nicht um.“
Kuguah beugte sich weit über den Tisch und stützte sich auf seine Unterarme, wie um die Entfernung zu seinem Sohn zu überbrücken. „Aber wir müssen uns der neuen Umwelt anpassen. Man hat uns die Selbstverwaltung gegeben, wir haben unsere eigenen Gerichte und Schulen und den singenden Draht. Wir könnten Maschinen für unsere Felder bekommen und Stromleitungen, die sie bewegen und unseren Hütten und Zelten Licht und Wärme schenken. Doch in allem sind wir heute noch auf die Hilfe des weißen Mannes angewiesen. Wenn wir unsere Freiheit behalten und nicht wieder ganz von ihm abhängig werden wollen, müssen unsere Krieger in Zukunft mehr lernen als nur Vieh auf die Weide zu treiben, zu jagen und Fische zu fangen. Und mein Sohn, der eines Tages das Volk der Apachen führen soll, muß auch darin für alle anderen ein Vorbild sein.“
Kuguah richtete sich wieder auf und blickte zu Mister Webster. „Mein großer, weißer
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