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Der Sohn des Haeuptlings

Der Sohn des Haeuptlings

Titel: Der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Augen offenzuhalten. Selbst die feige Moschusratte kann einen Löwen töten, wenn er schläft.

Eine Badewanne läuft über

    Die besten Einfälle hatte Mister Webster beim Rasieren. Das war auch am nächsten Morgen so. Seit dem Aufstehen hatte er sich schon überlegt, wie die Sache mit Tesu nun eigentlich weitergehen sollte. Daß der Junge schließlich vor Hunger und Müdigkeit eingeschlafen war, hatte die Ankunft hier in der weißen Villa in Chicago sehr erleichtert.
    Aber wenn er jetzt irgendwann aufwacht?
    /Am besten, ich betrachte mir die Geschichte zur Abwechslung einmal aus der Sicht des Jungen’, überlegte Mister Webster. Er blickte in den Spiegel und konzentrierte sich. Die Stelle zwischen Nase und Oberlippe erforderte immer die größte Aufmerksamkeit. ,Also , wenn Tesu aufwacht’, stellte er sich in Gedanken vor, ,dann entdeckt er doch zum erstenmal lauter Dinge um sich herum, die er noch nie in seinem Leben gesehen hat. Angefangen vom Bett, in dem er liegt, bis zur Nachttischlampe, der himmelblauen Tapete und der Badewanne.’ Mister Webster griff zum Rasierpinsel und seifte sich zum zweitenmal ein. ,Vor allem hat er aber bestimmt einen infernalischen Hunger.’ Mister Webster sah jetzt aus, als sei er mit dem Gesicht in eine Schüssel mit Schlagsahne gefallen.
    ,Ob ich den Jungen zuerst sich selbst überlasse’, überlegte Mister Webster weiter. ,Vielleicht kommt er mit sich allein am besten zurecht. Kann aber auch sein, er fühlt sich völlig hilflos in der neuen Umgebung, was dann? Soll ich vielleicht doch Pennyfull zu ihm hinaufschicken? Oder ist es besser, meine Frau weckt ihn auf?’ Mister Webster hielt den Kopf schief und schabte jetzt an seinem Kinn herum. ,Ich weiß nicht recht. Im Grunde genommen hat er während der Reise weder für Liz noch für Pennyfull Sympathien gezeigt. Da auch ich ihm allem Anschein nach auch ziemlich gleichgültig bin, bleibt es sich eigentlich gleich, wer zu ihm geht. Und wenn sich schon jemand eine kalte Dusche holen soll, mach’ ich das lieber höchstpersönlich.’ Er richtete sich plötzlich auf. ,Das heißt—’, er legte das Messer weg, beugte sich dicht zum Spiegel und blickte jetzt ganz nah in die eigenen Augen, donnerlittchen, das ist überhaupt des Rätsels Lösung —!’
    Mit einem Sprung war er an der Tür, riß sie auf und rief gerade so laut, daß man es bis zur Küche hören konnte: „Jenny!“
    „Mister Webster?“ antwortete eine Stimme sofort.
    „Komm doch mal, Jenny!“
    Es dauerte nicht lange, da stand die schwarze Hausbesorgerin vor ihm. Sie grinste wie immer.
    „Jenny sein hier!“
    „Nun paß mal gut auf, Jenny!“ Mister Webster griff nach seinem Rasierpinsel und seifte sich ein drittes Mal ein.
    „Dieser junge Indian-man da oben im Gästezimmer—“
    Es wurde eine ziemlich lange und ernsthafte Unterhaltung. Jenny hörte mit großen Augen zu und nickte nur immer wieder mit dem Kopf. „Ist guttt, Sir.“
    So ging das eine ganze Weile. Endlich schien Mister Webster am Ende zu sein. „Hast du auch alles gut verstanden, Jenny?“
    „Alles verstanden — Sohn von große Häuptling, ich ihn grüßen wie eigene Häuptling von zu Hause.“
    „Gut, Jenny. Geh jetzt auf deinen Platz!“
    Jenny grinste, machte einen kleinen frechen Knicks und watschelte davon.
    Mister Webster blickte ihr nach und dann wieder in den Spiegel. Er zwinkerte sich selber zu und war mit sich zufrieden. ,Diese Idee ist Gold wert’, bescheinigte er sich in Gedanken. ,Wenn Tesu aufwacht, bekommt er vorerst nur Jenny zu Gesicht. Ausgezeichnet!’ Mister Webster wagte sich mit dem Messer jetzt an die linke Gesichtshälfte. ,Vor einem Weißen hat auch der selbstbewußte Indianer gelegentlich noch Hemmungen. Dagegen fühlt sich jede Rothaut einem Neger gegenüber turmhoch überlegen. In den Reservaten war es ja nicht ungewöhnlich, daß Schwarze und Mulatten für Indianer arbeiteten. Einer Negerfrau gegenüber würde sich Tesu also nicht unsicher fühlen.’
    Mister Webster hielt jetzt seinen Kopf unter die kalte Dusche. Einerseits um die Rasierseife loszuwerden und dann auch zur Erfrischung. Die Sonne brannte nämlich schon wieder vom Himmel, und im Radio hatte man dreißig Grad im Schatten angesagt.
    Inzwischen hatte Jenny am Schlüsselloch des Gästezimmers Posten bezogen. Wenn sie ihr Auge dicht an die Tür drückte und etwas schielte, sah sie haargenau den oberen Rand des Bettes und eine Ecke vom Nachttisch. Tesu schlief immer noch, jedenfalls rührte er sich

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